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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis
Autoren: Starhawk
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orthodoxe Heidin, die auf strikter Einhaltung der alten, überlieferten Rituale besteht; ein ausführlicher Besuch bei jedem einzelnen Schrein, ein Gang den Prozessionsweg hinauf, Zeit zu meditieren, nachzudenken, ein wenig in Trance zu versinken…
    Der Pfad wand sich weiter oberhalb des Wasserreservoirs, das seitlich am Hügel angelegt worden war. Sie konnte schon den kleinen Bach hören, der den künstlich geschaffenen Wasserlauf füllte, von dem die Gärten entlang ihrer eigenen Straße gespeist wurden. Heutzutage gab es so viel mehr Gärten. Aus schierer Notwendigkeit, denn Hitze und Feuer hatten die Erde des Central-Valley Anbaugebietes praktisch zu Stein werden lassen.
    Schau sie dir an! Maya pausierte erneut, schwer atmend. Die City war ein Ort wilder Blumen, voller Weinstöcke und Bäume, deren Zweige sich unter der Last der reifenden Früchte bogen.
    Alles sieht so üppig aus. Sie atmete tief. Man könnte denken, wir hätten reichlich von allem, reichlich Land, reichlich Wasser. Irrtum. Wir haben nur gelernt, nichts zu verschwenden, jeden Wassertropfen zu nutzen, alles wieder zu verwenden, die Hühner mit Unkraut zu füttern, die Enten mit Schnecken und die Würmer den Abfall verwerten zu lassen.
    Wir sind wahre Künstler in der Müllvermeidung geworden. Und in der Vermeidung von Gewalt, von Krieg, von Toten. Schaudernd dachte Maya an die verwesenden Körpern in den Massengräbern an der östlichen Bucht. Und nun müssen wir nur noch die drohende Begegnung mit der Steward-Armee vermeiden, die vermutlich schon jenseits der Grenze aufrüstet. Nun, wir haben unsere Wahl getroffen. Wir ziehen Nahrung den Waffen vor. Und nun stehen wir hier, liebreizend und so unbewaffnet wie die Venus von Milo.
    Der Pfad machte eine Biegung nach Westen. Maya näherte sich dem Gipfel. In der Ferne konnte sie Twin Peaks sehen, der aus dem Nebel herausragte, wie zwei braune Brüste aus einem Schaumbad.
    »Hörst du Johanna? Twin Peaks erinnert mich an deine Brüste.« Johanna war schon lange tot und antwortete nicht. Aber der Gedanke an ihre Brüste ließ Maya auch an Johannas Enkelin denken. Madrone arbeitet zu viel, dachte Maya. Alle Heiler tun das. Aber seit Sandys Tod hat sie kaum noch pausiert. Sie wird bald selbst krank werden, wenn sie sich nicht mehr Ruhe gönnt. Ich wünschte, sie hätte sich den Tag frei genommen, wie ursprünglich geplant, aber irgend etwas kommt ja immer dazwischen...
    Göttin, hoffentlich ist dies nicht schon wieder eine weitere Epidemie! Bitte Mama, das wirst du uns doch nicht antun? Wir sind auf deiner Seite, erinnerst du dich? Wir sind die Guten.
    Wo blieb Madrone nur?
    Doch Madrone hatte tatsächlich keine Zeit.
    »Die Kranke braucht Flüssigkeit«, rief sie gerade entsetzt. »Aviva prüf' bitte den Blutdruck. Heilige Mutter, sie verbrennt ja förmlich. Die Eispackung dampft! Wir müssen dieses Fieber runterkriegen, Aviva.«
    Avivas dunkle Augen funkelten besorgt über der weißen Maske. Ihr braunes Haar war streng unter einer weißen Schwesternhaube verborgen. Madrone hatte ihr eigenes Gesicht unbedeckt gelassen. Ihrer Meinung nach mußte eine Frau in den Wehen ein menschliches Gesicht sehen können, und sie hatte andere Mittel sich zu schützen.
    »Verdammt! Wie sollen wir das Kind rausholen?«
    »Kaiserschnitt?« schlug Aviva vor.
    Madrone schüttelte den Kopf: »Sie würde sterben.« Die eine Hand am Hals der Frau fühlte sie den rasenden Puls, mit der anderen an den Schläfen ließ sie der Gebärenden Ch'i, Lebensenergie, zuströmen.
    »Sie stirbt«, flüsterte Aviva entsetzt, mit einem Blick auf den Monitor. »Ihr Blutdruck ist himmelhoch, keins der Medikamente hat angeschlagen.«
    »Wir dürfen sie nicht aufgeben. Sie ist meine Nachbarin, und sie ist Rosas Mutter. Wir dürfen nicht aufgeben. Auf keinen Fall!«
    Sandy ist Opfer dieser Seuche geworden, das ist genug, dachte Madrone erbittert. Das muß genug sein.
    »Am zweiten Tag der Schnitterin würde ich soetwas nicht sagen«, gab Aviva zurück.
    Lou schob hastig einen Infusionsständer herbei. Seine schlanken Finger ertasteten eine Vene und schlossen den Tropf an.
    »Lou, such' ihren Druckpunkt für Dilation!« befahl Madrone. »Ich gebe ihr Ch'i.«
    »Sei vorsichtig«, gab Lou zurück. Die Operationsmaske verbarg den größten Teil seines Gesichts, aber seine schwarzen Augen blickten grimmig.
    Madrone nickte, holte tief Luft und wiederholte innerlich ihren geheimen Spruch, der sie schnell in Trance fallen ließ. Sie fühlte sich wie ein
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