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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis
Autoren: Starhawk
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schlaflosen Nacht und erinnerten Madrone an Consuelo, wie sie mit den Händen durch das Haar ihrer Tochter gefahren war, das leuchtende Schwarz geflochten hatte.
    »Es tut mir leid Rosa«, sagte Madrone, »es tut mir so leid. Deine Mutter ist tot.« Maries Arm schloß sich fester um das Kind. Sie war auch eine von Madrones Patientinnen, eine, die Madrone nicht retten konnte und verlieren würde. Die milchige Haut, die Marie von ihren irischen Vorfahren geerbt hatte, war nicht dazu geschaffen, den ultravioletten Strahlen zu widerstehen, die durch die geschwächte Ozonschicht der Erde drangen. Madrone bemerkte eine neue Veränderung neben der Nase der alten Frau. Ihre Haut war wie Papier, transparent, der Anzeichen von Krebs!
    »Es tut mir leid«, bedauerte Madrone erneut. »Wir haben alles versucht. Dieses Fieber ist uns immer noch ein Rätsel.«
    Allmählich drang die Wahrheit zu Rosa durch. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie barg ihr Gesicht an Maries Schulter und begann zu schluchzen.
    »Probecita«, beruhigte Marie sie. »Es tut mir so leid.« Sie schaute fragend zu Madrone. »Und das Baby?«
    »Es lebt. Bis jetzt. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie es ausgehen wird. Wir haben eine Amme gefunden. Aber ich wäre gern optimistischer.«
    Marie nickte. Madrones Hand ruhte auf Rosas Rücken. Gern hätte sie sich selbst zusammengerollt und geweint. Ich hasse dies, dachte sie. Oh, wie ich dies hasse!
    »Du schaust müde aus«, sagte Marie. »Ich werde mich um Rosa kümmern. Geh' und ruh' dich aus.«
    Madrone nickte und stand auf. Wenn sie sich beeilte, würde sie es gerade noch schaffen, ihre Festkleidung anzulegen und Maya zu treffen bevor das Ritual begann.
    Am Gipfel des Berges verließen Menschen die Gondeln. Die dicken Kabel überzogen die Stadt wie ein metallenes Spinnennetz. Maya erinnerte sich, wie Rio dagegen gewesen war, als die Seilbahnen nach dem Aufstand eingeführt werden sollten.
    »Das übersteigt unsere Möglichkeiten!« hatte er entgegnet. »Wir haben immer noch Hungernde, wie können wir es uns dann leisten die Stadt in ein zweites Disneyland zu verwandeln.« »Ich mag die Idee.« Maya war optimistisch. »Die Leute werden sie mögen.«
    »Blödsinn. Es wäre billiger, den Löwen im Zoo einige unserer obergescheiten Council-Mitglieder vorzuwerfen. Das gefiele mir.«
    »Sei kein Spielverderber«, gab sie zu bedenken, doch dann bemerkte sie seine Tränen. Seinen Augen wirkten durch den grauen Star milchig blau und erinnerten an den glasigen Ausdruck von Kleinkinderaugen. Er war immer noch ein gut aussehender Mann, Anfang 80, nur einige Jahre älter als sie selbst. Sein blondes Haar hatte sich in Weiß verwandelt und bildete einen buschigen Rahmen für sein gut geschnittenes Gesicht. Streit endete bei ihnen noch immer mit einer hitzigen Liebesnacht. Und so überwanden sie auch gern den Kummer darüber, daß zu wenig getan wurde, zu wenig für das Miteinander der Menschen, zu wenig für die Welt, ihre Umwelt.
    Vielleicht hatte er damals doch recht. Vielleicht haben wir uns hinreißen lassen von unserem Optimismus, im ersten Überschwang des Sieges. Wir haben noch zu sehr in alten Bahnen gedacht, von großen Projekten und heroischen Kämpfen geträumt: die Deiche, die Gondeln. Jetzt fand Maya die Gondeln sehr praktisch, machten sie doch den Irrgarten passierbar, zu dem die Stadt nach dem Aufstand geworden war. Außerdem waren die Gondeln in den letzten zwei Jahrzehnten ständig verschönert worden. Sie waren mit bunten Farben und heiligen Emblemen bemalt worden: mit Spiralen, ineinandergreifenden Dreiecken, Monden und Sternen, und mit Tieren und Vögeln.
    »Hallo Maya.«
    »Que nunca tengas hambre! Mögest du niemals hungern!« Passanten grüßten sie, lächelten, während sie im Vorübergehen die rituellen Segenswünsche murmelten. Und allen antwortete sie freundlich mit dem rituellen Antwortgruß: »Mögest du niemals Durst leiden! Que nunca tengas sed!«
    Einige Passanten kannte sie mit Namen, andere kannten sie vom Sehen oder durch die Bücher, die sie geschrieben hatte. Bei einigen hatte sie das Gefühl, daß sie gern mit ihr gesprochen hätten. Aber sie nickte nur freundlich. Zu viel Bewunderung konnte sie nur noch schwer ertragen.
    Die Endstation der Gondelbahn war aus dem Metallskelett des alten Funkturmes gebaut, der früher hier gestanden hatte. Sie schimmerte in sanften Metalltönen, ihre weit ausgebreiteten Arme hießen willkommen, die großen Windräder auf dem Dach malten bewegliche
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