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Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)

Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Lucie Flebbe
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lenkte ich meine Gedanken in die Gegenwart zurück, auf das Walross, das auf einem Holzbalken des Fachwerks saß. Genau gesagt, handelte es sich um ein grinsendes Walross, etwa zehn Zentimeter hoch. Aus Porzellan vermutlich. Im Wintergarten dahinter entdeckte ich eine Versammlung hässlicher, kleiner Ungeheuer. Sie sahen aus wie schrumpelnde Knollengewächse mit Fischschwänzen. Nach genauer Betrachtung kam ich zu dem Schluss, dass es sich höchstwahrscheinlich um Seehunde handelte, die ein Hobbybastler aus Blumenzwiebeln kreiert hatte. Auf der Rückenlehne des sandfarbenen Sofas lag – lang ausgestreckt, wie eine schlafende Schlange – ein Wal. Ein Modell aus Stoff, mit winzigen Flossen und so prall mit Schaumstoff vollgestopft, dass es an eine blaue Bockwurst erinnerte. Der Form nach zu urteilen, sollte es wohl den unter Türritzen hindurchpfeifenden Wind stoppen. Hier am Nordseestrand diente das Ding jedoch als Nackenrolle.
    Auf dem Couchtisch bemerkte ich eine Meereslandschaft mit Muscheln. Katrin Hesskamp schien eine Frau mit viel Freizeit zu sein.
    »Seit drei Wochen ist Bine jetzt schon weg. Oder nicht?«, erklärte uns Silvia Fromm bereits, während die Fischfreundin noch Kaffeetassen auf dem Couchtisch verteilte.
    »Zweieinhalb würde ich sagen.«
    »Eher drei. Aber sicher bin ich nicht. Ich schreibe mir ja nicht auf, ob ich meinen Nachbarn heute schon begegnet bin. Normalerweise sind wir uns mehrmals am Tag über den Weg gelaufen.«
    »Hier. Das ist sie.« Katrin Hesskamp schob Danner und mir ein Foto hin.
    Ein Schnappschuss von ihr selbst und einer Frau Anfang fünfzig, mit einem schmalen Gesicht und müde herunterhängendem, grauem Haar.
    »Und man hört ja auch, ob jemand zu Hause ist«, fuhr die Fromm unbeirrt fort. »Die Wände sind so was von hellhörig. Lärmschutz war noch ein Fremdwort, als diese Zechensiedlung in den Fünfzigern gebaut wurde. Selbst zwei Häuser weiter bekommt man mit, wenn sich Bine und Alwin in den Haaren haben.«
    »Gibt es oft Streit nebenan?« Danner steckte das Foto ein.
    »Täglich«, nickte Silvia Fromm eifrig.
    »Was heißt Streit?«, wandte Katrin Hesskamp ein. »Eigentlich hört man nur Alwin brüllen. Bine widerspricht kaum. Darüber regt er sich dann noch mehr auf.«
    »Kann es nicht sein, dass Bine Kopelski ihren Mann verlassen hat?«, erkundigte ich mich.
    »Das wüssten wir doch!« Die Wangen der Älteren leuchteten empört auf.
    Wahrscheinlich war Silvia Fromm sogar über die Beischlafhäufigkeit der Nachbarin informiert. Womöglich sogar besser als deren Mann.
    »Das dachten wir auch erst«, erklärte Katrin Hesskamp. »Aber jetzt trägt sie auch die Zeitungen nicht mehr aus. Dabei ist Arbeitslosigkeit ihre größte Angst.«
    »Sie und Alwin waren bei Nokia, bis die dichtgemacht haben«, übernahm Silvia Fromm wieder das Wort. »Und Bine ist mittlerweile vierundfünfzig. Sie war froh, den Zustellerjob bekommen zu haben. Den Fall in die Sozialhilfe will sie um jeden Preis verhindern.«
    Katrin Hesskamp löste einen mit Magneten am Kühlschrank befestigten Zeitungsausschnitt, um ihn uns als Beweis vorzulegen. »Am Wochenende stand das drin.«
    Die Kleinanzeigen: Zusteller gesucht, Bochum-Gerthe. Eine Telefonnummer daneben.
    »Erst war nur von einer Urlaubsvertretung die Rede, sagt der junge Mann, der übergangsweise für Bine eingesprungen ist.« Silvia Fromm hatte offenbar schon selbst nachgeforscht. Ihre Wangen glühten nun. »Aber Anfang der Woche hieß es dann plötzlich, Bine käme nicht mehr zurück. Da haben wir angefangen, uns wirklich Sorgen zu machen.«
    Ich nahm den Zeitungsausschnitt in die Hand, um ihn genau zu betrachten.
    »Auch, weil Alwin seit Wochen stramm ist«, beeilte sich Katrin Hesskamp einzuwerfen.
    »Was ja nicht gegen eine Trennung sprechen muss«, fand Danner.
    »Morgens schleppt er eine Kiste Bier in den Schrebergarten rüber, abends kommt er zurückgetorkelt. Es kommt mir vor, als wollte er nicht in der Wohnung sein«, Katrin Hesskamps Stimme zitterte.
    Mir kam so viel Sorge um die Nachbarin ein wenig übertrieben vor. Trotzdem ließ ich den Zettel mit dem Jobangebot in meiner Hosentasche verschwinden.
    »Was, wenn Bine seit Tagen tot in der Wohnung liegt?«, schwadronierte die Fromm. »Wir wollen nicht zu den Leuten gehören, die so etwas gar nicht mitbekommen.«
    »Deshalb …« Katrin Hesskamp suchte nach Worten.
    »Deshalb wollen Sie uns engagieren?!«, half Danner ihr weiter.
    »Nee«, schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß gar
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