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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Autoren: Alexander Kluge
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nehme ich sie nur stumm in die Arme und bringe sie ins Bett) muß ich darauf achten, ihre Hoffnungen nicht zu nähren, daß er in irgendeiner phantastischen Gestalt zu ihr zurückkehrt. Ich habe seinen Blick gesehen. Gesine hat keine Chance. Niemand in der Welt hat die Möglichkeit, von ihm etwas zu erhalten, was er nicht will. Und er ist satt. Gutgenährt von der Zuwendung der Frauen, an deren Tribut er seit seiner Kindheit gewöhnt ist.
    Genaugenommen sind es nicht die Augen , sondern der Blick , der die Gnadenlosigkeit dokumentiert. Die Augen selbst scheinen eher ausdruckslos, etwas stumpf. Der Blick hat gerade wegen seines Mangels an Ausdruck jene »negative« Qualität, die erschüttert. Mir ist schleierhaft, was Gesine je von diesem verwöhnten Jungen wollte. Schon bei der Werbung, in der ersten Stunde (ich war dabei und ging dann unglücklicherweise vorzeitig nach Hause), war er voller Sattheit, sein Blick ein »Verhandlungsblick«. Deshalb glaubte ich fest: »Das muß man gar nicht erst ignorieren.« Nur sah Gesine etwas anderes. Sie sah in seinem fleckigen Gesicht wie in einem Spiegel, was sie empfand.
    Ich habe immer gedacht, daß Mütter, die ihre Söhne lieben, in ihnen einen zärtlichen Keim anlegen. Den ernten dann die Menschen, die diesen Jungmännern später begegnen. Statt dessen macht sich in solchen Fällen ein genügsames Patriziertum breit, die Seßhaftigkeit einer Kette männlicher Ahnen, die nur greifen und um nichts bitten. Söhne, die nicht um die Zuneigung ihrer Mütter kämpfen müssen, so mein Eindruck, entfalten in ihrem Innern Monstren. Ich will nicht verallgemeinern und tue es doch. Der Zorn auf Gesines Okkupator löst mir die Zunge für generelle Behauptungen:
    ###
    »Er hat die herzlosen Augen /
    eines über alles Geliebten.«
Die geheime Geschichte seines Glücks
    Als er nach dem Krieg Filme mit Kirk Douglas sah, die von den Kriegszügen der Wikinger handelten, und von der Herkunft dieses Hauptdarstellers aus einem Clan weißrussischer Juden hörte, fühlte sich der ehemalige Oberleutnant Ferdy Bachmüller in seiner Tat bestätigt. Obwohl er nicht zuständig war, hatte er aus einer in der Nähe des Bataillons zusammengetriebenen Gruppe von Juden einen Mann mit herausstechend blauen Augen ausgesondert. Den Mann hatte er mit Papieren der Division versorgt und als Hilfswilligen (Hiwi) in den Küchentroß seiner Truppe eingereiht. Während der Rückzüge war der Mann eines Tages verschwunden.
    Bachmüller war einem momentanen Einfall gefolgt, als er den Mann der inkompetenten Wachmannschaft abtrotzte. Immerhin war er so rassistisch beeinflußt, daß er sogenannte »starke« blaue Augen, die er nur von Postkarten, Buchabbildungen und aus Filmen kannte, sowie eine »kampfstarke«, mit dem Brustkorb aufwärts gerichtete, »germanische« Körperhaltung für etwas Wertvolles hielt (obwohl er selbst keine Zucht künftiger Geschlechter betrieb). Als Frau hätte ihn ein Blick aus solchen Augen entzückt. Er hielt hinreichend Distanz zu dem geretteten Hünen, zu dem er sich hingezogen fühlte.
    Daß er später in der Nähe von Uelzen kampflos in britische Gefangenschaft geriet und bereits zwei Wochen später mit gültigen Entlassungspapieren nach Hause gelangte, ja daß ihn wie eine Fee in den Jahren des Vormarsches und der Rückzüge offensichtlich zwei blaue Augen in zahllosen gefährlichen Momenten gerettet hatten, das nahm er als gewiß an, auch in der Zeit, in welcher der Hiwi nach dem Glückswechsel der deutschen Kriegsmacht körperlich das Weite gesucht hatte: »und schlug sich seitwärts in die Büsche«, rezitierte Bachmüller. Er beschäftigte sich viel mit der »rätselhaften« Natur seines Fundstücks. »Seine Stirn geheimnisvoll, die Nase außerordentlich schön und der Mund, obschon zu sehr geschlossen und obwohl er manchmal mit den Lippen nach der Seite zuckte, immer reizend genug.« Oft hatte Bachmüller die Küchenabteilung inspiziert, was er vor Übernahme des Fremden selten getan hatte: zwei Feldküchen, mehrere Panjewagen, auf denen die Vorräte geladen waren, ähnlich einem Zigeunerzug, der dem Bataillon folgte. Nur um den jungen, blonden Mann unauffällig anzublicken. Mit behaupteter, gegriffener Befehlsgewalt, die keiner Nachprüfung standgehalten hätte, hatte er ihn (in der Währung der Machtverhältnisse gerechnet, sagen wir, für 30 Thaler) freigekauft, wenn es auch auf dieser Ebene keine Münzen, die einer behalten kann, und keine Gegenseitigkeit gibt. Die läppische
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