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Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)

Titel: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Autoren: Alexander Kluge
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versehen hatte, konnte man als ganze nicht transportieren. Diese später Elgin-Marbles genannten Skulpturen wurden deshalb zersägt und so auf der Ladefläche großer dafür präparierter Kutschen zum Hafen Piräus gebracht, auf Flößen zu den Schiffen überführt, die mit der Fracht sofort das osmanische Hoheitsgebiet verließen. Das war eine Aktion für Zimmerleute, Organisatoren, Kranbauer, eine Herausforderung an die Intelligenz der Schiffsbesatzungen und nur dadurch möglich, daß England in jeder seiner Gesandtschaften, so auch in Konstantinopel, Allerhand-Männer beschäftigte, die praktisch alles vermochten.
    Lord Elgin erfuhr erst im nachhinein von dem gelungenen Coup. Die Schiffe kreuzten zu diesem Zeitpunkt schon vor der portugiesischen Küste nach Norden. Sieben Beauftragte hatte der britische Diplomat, Botschafter Seiner Majestät bei der Hohen Pforte, für die Transaktion bevollmächtigt. Er selbst besaß einen Firman des Großwesirs, der ihn autorisierte, den Marmor im Parthenon zu besichtigen, gegen Wettereinflüsse abzudecken oder sonstwie zu schützen und dann in Konstantinopel zu berichten. Diese Urkunde im Namen des Sultans, die keine Vollmacht zum Raub enthielt, wurde vor Ort von den örtlichen Chefs und der Vertrauensperson des Botschafters großzügig ausgelegt. Das Vorzeigen des Papiers war von Geschenken begleitet. Hätten die für Lord Elgin Tätigen gewußt, wie wenig Großbritannien am Ende für diese Unikate bezahlen würde, hätten sie sich nicht so verschwenderisch von Gold und Präsenten getrennt.
    Die Marmorgebilde gelangten über Portsmouth ohne Schäden über die Landstraßen bis in die Parks, die Lord Elgin gehörten. Eine Bretterkonstruktion bewahrte sie zunächst vor Schottlands aggressiven Regengüssen. Die Gefahr bestand, daß in winzige Risse des mittelmeerischen Gesteins Wasser eindringt, im Winter friert und dann Stücke der Oberfläche absprengt. Ursprünglich waren Farbreste auf dem Marmor zu sehen. Diese überstanden die Reise nicht. Lord Elgin hatte auf der Heimfahrt nicht soviel Glück wie seine Beute. Beim Durchqueren Frankreichs wurde er vom Kriegsausbruch überrascht, der den Frieden von Amiens beendete. Monatelang saß er im Gefängnis. Dadurch verlor er seine Frau, die vorausgereist war, an einen anderen. Nach vielen Versuchen, wenigstens den Gegenwert für die enormen Kosten (100000 Pfund für den Firman und örtliche »Entschädigungen«, 30000 Pfund für Mannschaften, das Absägen und die Transporte) zurückzuerhalten, zahlte die britische Regierung für die Aufstellung der Marbles 35000 Pfund, und das nur unter Billigung des Parlaments, in dem Abgeordnete den »Diebstahl« der Kunstschätze kritisierten.
    Zu einer Rückforderung der Elgin-Marbles sind nach Auffassung von Völkerrechtsexperten in Oxford heute weder die Türkei noch Griechenland berechtigt. Griechenland heißt es, sei nicht Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches. Das gleiche gelte im Hinblick auf die Herrschaftsgebiete des Sultans in Griechenland auch für die Türkei. Im übrigen stehen jedem Anspruch die Einrede der Verjährung und die der Ersitzung entgegen. Bei einer Versteigerung der Marmorstatuen, so der Frankfurter Rechtsgelehrte Spiros Simitis, könnte Griechenlands Schuldenberg zu einem beachtlichen Teil getilgt werden.
Zwei Experten erfinden einen neuen Tuschkasten des Eigentums
    Der Verhandlungsführer der DDR , ein Mitarbeiter des Ministerpräsidenten bei den deutsch-deutschen Verhandlungen zum Wiedervereinigungsvertrag, galt als »kurz angebratener Aufsteiger« aus der Zeit der Wende und war Wolfgang Schäuble, dem taktisch erfahrenen Bundesminister des Inneren, nach Urteil der Altkader, die noch in den Regierungsämtern der DDR tätig waren, nicht gewachsen. Auch war dieser Vertreter der DDR »bestochen nach römischer Art«, nämlich durch Aussicht auf ein hohes Regierungsamt nach Abschluß des Vertrages (er wurde später Minister).
    In vielem sortierten die beiden Verhandlungsführer, was ihnen von westdeutschen Behörden oder von einflußreichen Verbänden zugeliefert wurde, und verglichen das mit Repliken aus dem ostdeutschen Bereich; selten drangen die durch. Zu einem wesentlichen Thema suchten sie einvernehmliche Lösungen: Das war die Frage des Eigentums in den ostdeutschen Ländern.
    Zunächst ging es um den Grundsatz: »Eigentum vor Entschädigung«. Bundesdeutsche Bürger, die ihr Eigentum in der DDR verloren hatten, sollten dieses zurückerhalten, und nur wenn sie es
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