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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition)
Autoren: Katharina Hartwell
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im Takt, eine Verschiebung, eine Verzögerung und darauf, dass ich zu einem der Ärzte sagen könnte: »Hören Sie, ich habe das Problem gefunden.«
    All das flaut irgendwann ab. Die Wut und die Ungeduld, Marie , nicht einmal dafür habe ich noch Kraft. Wenn Philip die Tür öffnet, will ich ihm um den Hals fallen. Durch seine Gegenwart verändert sich etwas im Raum oder in mir, ein sofortiger Druckabfall tritt ein. Ich beobachte, wie er sich bewegt, wie er dich bewegt. Wie er Werte kontrolliert, wie er Schläuche justiert. In allem, was er tut, liegt Ruhe und Sicherheit.
    Ich unterhalte mich oft mit Philip; ich mag, dass er Dinge sagt, die mich überraschen, die so absurd klingen, dass ich nicht anders kann, als sie ernst zu nehmen. Hier ist jemand, der an die unmittelbare und spürbare Wirkung von grünem Tee und einem Spaziergang durch den Park glaubt. Der trotz allem, was er hier im Krakenhaus sieht und erfährt, voller Aufrichtigkeit empfiehlt, ich solle meditieren, solle einen Yogakurs besuchen, solle abends mit Freunden ins Kino gehen oder ins Theater.
    »Ich habe aber keine Freunde«, sage ich dann.
    Es sind nicht die Vorschläge selbst, die mir helfen, es ist die Zuversicht, mit der Philip sie ausspricht, und weiter: dass er mich mit allem Erwartbaren verschont, nie sagt, dass niemand weiß, was du hörst und was nicht, dass ich mit dir sprechen soll. Dann sähe ich mich gezwungen, abzuwinken, um nicht verzweifelt zu erscheinen und wie jemand, der sich an Strohhalme klammert.
    Ich habe verstanden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass du mich hörst, gering ist. Aber du musst wissen, dass am Tag deines Unfalls nicht nur die Zeitrechnung in ein Davor und ein Danach zerfiel, sondern auch ich gespalten wurde. Jetzt leben zwei in meiner Haut, Schwestern oder Zwillinge. Und die eine ist anders als alle anderen, sie lacht und spricht abfällig über die Strohhalmklammerer, sie weiß es besser. Und die andere ist ganz genau wie alle anderen, schlimmer noch, und sie weiß überhaupt nichts, sie denkt in einer Endlosschleife: vielleicht doch, vielleicht ja doch.
    *
    Einmal sprechen Philip und ich über die Liebe. Ich setze dann, ich setze immer wieder neu an, ich will es ja wirklich erzählen, aber mir fehlen die richtigen Worte. Oder vielleicht sind sie im Kopf, auf der Zunge noch richtig, und erst, wenn sie über die Lippen gehen, werden sie zu etwas, das wenig oder gar nichts mit uns zu tun hat.
    Wann hast du es gewusst, wie hast du es gewusst, woher hast du es gewusst?, fragt Philip mich und ist sich sicher und meint sagen und festmachen zu können, was das ist, dieses Es.
    Ich habe es gewusst, als ich auf dem Boden der Bibliothek lag, als du mich zu Fall gebracht hattest und ein Ruck durch den Raum ging, der mir fest und still und statisch erschienen war bis zu diesem Nachmittag.
    Und dann, die Liebe. Dazu kann ich nur sagen:
    Nichts daran ist nett, daran ist nichts Pralinen und Rosen und zuversichtliches Händchenhalten. Falls rote Herzen, dann nur solche, die zu schnell schlagen und zu laut, solche, die uns von innen her zu sprengen drohen, über deren Klopfen und Pochen wir uns selbst nicht mehr denken hören können.
    Als ich auf dem Boden der Bibliothek saß, an die Schließfächer gelehnt, und jeder Nerv in meinem Körper surrte, da habe ich es gewusst, weil es sich anfühlte, als sei etwas in mir zerschmettert oder aufgeschlagen worden. Zu sagen, ich hätte mich verliebt, trifft es nicht. Mir ist das Englische lieber: to fall in love. Ich bin in die Liebe gefallen, ich bin in ihr untergegangen, bin versunken, mein Körper verschwand darin und alles, was ich gewesen war, was ich geglaubt hatte, über mich zu wissen.
    Nicht erst jetzt, da ich in diesem Raum sitze, scheint mir das Leben nicht allzu freundlich. Als Kind, als Jugendliche habe ich es gedacht, und jetzt denke ich es mehr denn je: Das Leben ist ein raues, ein stürmisches, ein gefährliches, ein unendlich weites, ein wildes, viele Geheimnisse und viele Gefahren und viele Riffe beherbergendes Meer. Und es gibt nicht viele milde Tage, und es gibt so viele Möglichkeiten, Schiffbruch zu erleiden. Und auf jeden Sturm folgt der nächste und auf jede Untiefe eine weitere. Und es ist eine Kunst, eine Herausforderung, eine unbedingte Notwendigkeit, jeden Tag und immer wieder aufs Neue nicht unterzugehen.
    *
    Auch du hattest Geheimnisse, hattest deine stillen Stunden und wachen Nächte. Vielleicht habe ich nicht die Wahrheit gesagt, als ich behauptete, mir
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