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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen
Autoren: Ellis Peters
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zurückkehren. Hales könnt Ihr als Einsiedelei haben. Aber kommt nie wieder in dieses Haus, denn man wird Euch nicht einlassen. Die Türen aller Anwesen bis auf Hales sind Euch von nun an verschlossen.«
    Gleichgültig sagte sie: »Wie du willst, es ist mir gleich. Ich brauche nicht viel Platz, und vielleicht brauche ich ihn nicht lange. Hales ist mir recht.«
    »Dann, Madam, brecht auf, wann immer Ihr wollt. Ihr sollt eine sichere Eskorte bekommen, denn anscheinend«, sagte er mit bitterem, wissendem Unterton, »habt Ihr Euch von Euren eigenen Burschen getrennt. Ihr könnt auch eine Sänfte bekommen, falls Ihr lieber Euer Gesicht verbergen wollt. Man wird nicht sagen können, daß ich Euch schutzlos reisen ließ wie jene alte Frau, die sich nachts allein hinauswagte.«
    Adelais erhob sich von ihrem Hocker und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
    Draußen in der Halle hatten die Diener begonnen, die Fackeln anzustecken. Sie steckten sie in die Ringe, doch in allen Ecken und zwischen den verräucherten Balken unter der hohen Decke sammelte sich die Dunkelheit und wob Netze aus Schatten.
    Roscelin stand am Herd in der Mitte des Raumes und stocherte mit der Hacke seines Stiefels in der Glut, um den tagsüber gedämpften Brand zu neuem Leben zu erwecken. Er hatte noch Audemars Mantel über dem Arm, die Kapuze baumelte an einer Seite herunter. Das Licht der auflodernden Flammen vergoldete sein gesenktes Gesicht, er schien zarte Wangen, anmutige Knochen und eine Stirn so schön wie die eines Mädchens zu bekommen, und während er träumte, stahl sich ein leises, entrücktes Lächeln auf seine Lippen. Flachshell teilte sich sein Haar über dem glatten Nacken und fiel über seine Wangen.
    Einen Moment blieb Adelais, von ihm unbemerkt, im Schatten stehen und beobachtete ihn. Abermals empfand sie die Freude und die Schmerzen einer unwiderstehlichen Anziehung und eines unerträglichen Glücks, gepeinigt sah sie seine Schönheit und Jugend, die vergehen und verschwinden würden. Zu scharf und süß war die Erinnerung an die Dinge, die vor langer Zeit schon geendet hatten, an die Jahre, die sie vergessen geglaubt hatte. Alles entflammte zu neuem Leben und stieg wie der Phönix aus der Asche, doch sie stand jetzt vor den Trümmern, die all die Jahre aus dem Geliebten gemacht hatten.
    Schweigend, damit er sie nicht hörte, damit er ja nicht seine allzu strahlenden, jubelnden blauen Augen zu ihr erhob, ging sie an ihm vorbei. Die dunklen Augen, an die sie sich erinnerte, tief und gefühlvoll unter geschwungenen schwarzen Brauen, hatten nie auf diese Weise für sie gestrahlt. Immer pflichtbewußt waren sie gewesen, immer vorsichtig und oft gesenkt in ihrer Gegenwart.
    Adelais ging in die Abendkälte hinaus und wandte sich zu ihren Gemächern. Nun, es war vorbei. Das Feuer war Asche.
    Sie würde ihn nie wiedersehen.
    »Ja, ich habe sie gesehen«, erklärte Bruder Haluin. »Ja, ich habe mit ihr gesprochen. Ich habe ihre Hand berührt, sie war warm und aus Fleisch, es war das Fleisch einer Frau, keine Illusion. Die Pförtnerin brachte mich unvorbereitet zu ihr, ich konnte nicht sprechen und nichts sagen. Sie war für mich so lange tot gewesen. Der Blick, den ich auf sie erhaschen konnte, wie sie im Garten zwischen den Vögeln stand... danach, als Ihr fort wart, wußte ich nicht mehr, ob ich es nur geträumt hatte.
    Aber sie zu berühren, zu hören, wie sie meinen Namen rief...
    und sie freute sich...
    Bei ihr war es anders als bei mir, aber Gott weiß, ich würde nicht behaupten, daß ihre Bürde leichter war. Vielleicht wußte sie auch, daß ich noch lebte, vielleicht wußte sie, wo ich war und was ich war. Für sie gab es keine Schuld, sie hatte nichts getan, außer mich zu lieben. Und sie konnte sprechen, und das tat sie, Cadfael! ›Hier ist eine‹, sagte sie, ›die dich bereits aus gutem Grund in die Arme genommen hat. Nun kannst auch du sie in die Arme schließen. Sie ist deine Tochter.‹ Könnt Ihr Euch so ein Wunder vorstellen? Sie gab mir die Hand des Kindes, während sie es sagte. Helisende, meine Tochter – nicht tot! Lebendig und jung und freundlich und frisch wie eine Blume. Und ich dachte, ich hätte sie beide getötet! Ganz von sich aus küßte mich das Kind. Auch wenn es erst nur Mitleid war – es muß Mitleid gewesen sein, wie konnte sie jemand lieben, den sie nicht kannte –, aber selbst wenn es nur Mitleid war, es war ein unbezahlbares Geschenk.
    Und sie wird glücklich sein. Sie kann lieben, wen sie will
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