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Das Frauenkomplott

Das Frauenkomplott

Titel: Das Frauenkomplott
Autoren: Ulrike Kroneck
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Hauptbahnhof in Berlin verließ. Selbst wenn ich gewusst hätte, dass ich heute fahren würde, hätte ich keine Platzkarte genommen. Das mache ich aus Prinzip nicht, erst wenn ich gehbehindert bin.
    *eute wäre ich gern planvoller gewesen und vor allem auch bieder, spießig und gehbehindert, denn der Zug war völlig überfüllt. Alle Plätze waren reserviert und zu meinem Leidwesen auch besetzt. Der Tag sollte wahrscheinlich genau so werden wie der gestrige. Ich hatte wirklich eine unglaubliche Glückssträhne.
    Ich stieg über die Rucksäcke der anderen unkonventionell Reisenden und boxte mich – der Zug war mittlerweile schon über Spandau hinaus – durch sämtliche Wagen der zweiten Klasse in Richtung Bordbistro, um dort einen Kaffee im Sitzen zu trinken. Der Wagen war knallvoll, obwohl das Bistro geschlossen war. Ein Glück für den Zugbegleiter, dass er nicht da war. Ich hätte Gift spucken können. So lächelte ich nur verbissen einen Geschäftsmann an, der von der anderen Seite seinen Weg in das Bistro gefunden hatte. Verschwörerisch, um unser gemeinsames Leiden zu unterstreichen, schüttelte ich herablassend den Kopf und signalisierte damit das, was ich normalerweise an meiner Tante Hedwig nicht ausstehen kann: ›Typisch, ich hab’s ja gleich gesagt! Das sind doch katastrophale Zustände! Die Bahn! Welche Unfähigkeit sich doch überall breitmacht!‹ Vielleicht hatte Tante Hedwig ja doch recht. Demonstrativ suchte ich irgendeinen Hinweis, warum das Bistro geschlossen war, wann es möglicherweise geöffnet würde und ob überhaupt.
    Ich tat meine Verärgerung mit einem Fußtritt gegen die Verkleidung des geschlossenen Verkaufstresens kund und ärgerte mich außerdem, dass ich immer nur Männer im Zug treffe, die keine Frau treffen möchte. Der freundliche Geschäftsmann wog höchstens 60 Kilo bei einer Länge von mindestens 1,88 Meter und hatte die entsprechende Körperhaltung. Ich war 20 Zentimeter kleiner und mindestens fünf Kilo schwerer. Vielleicht sogar sechs!
    Er war nicht nur mager, sondern auch blass und hatte für seine knapp – oder doch mehr? – 50 Jahre ziemlich schütteres Haar. Sein Anzug allerdings war aus hochwertigem Stoff gefertigt. Aber bevor ich noch weitere Beobachtungen abspeicherte, brachte er mich aus der Fassung:
    »Haben Sie keinen Sitzplatz?« Diese Stimme konnte einem unter die Haut gehen und passte überhaupt nicht zu dem unterernährten Asketen. Als er mich fragte, ob ich nicht mit in sein Abteil kommen wolle, dort gäbe es noch einen Platz, schloss ich die Augen und versuchte mir einen Moment vorzustellen, dass seine erotische Stimme zu dem Rest passen würde.
    »Ja, aber … ich fahre zweiter Klasse!«, stotterte ich und es war mir plötzlich peinlich, kein Geld zu haben und nicht mit den Menschen des mittleren Managements, Angestellten nach BAT II und erfolgreichen Selbstständigen mithalten zu können.
    »Das ist sicherlich kein Problem«, surrte seine verführerische Stimme, »sollte der Schaffner irgendetwas dagegen haben, dass Sie bei uns sitzen, werde ich das sicherlich in Ihrem Sinne regeln!«
    Erotische Stimme und entschiedene Schärfe – aber mit Frau. ›Uns‹ hatte er gesagt, ›bei uns sitzen‹! Er befand sich also nicht allein in seinem Erste-Klasse-Coupé. Ich zog die Luft durch die Nase. »Wenn Sie meinen«, sagte ich laut und burschikos, wie ich das immer mache, wenn etwas zu kompliziert wird.
    Ich folgte ihm in den nächsten Wagen, jenseits des Bistros, auf die Seite der Gutbetuchten und derjenigen mit festen Stellen, die nur privat zweiter Klasse fahren. Hätte ich diese feste Projektstelle bekommen, wäre ich nur erster Klasse gefahren. Aber ich wollte jetzt nicht mehr an Jerôme denken.
    Mein Begleiter öffnete mir die Tür des Abteils, kein Großraumwagen. Sie hatte aus dem Fenster gesehen, wandte uns nun das Gesicht zu und lächelte. Ich weiß nicht, aber manchmal formuliere ich Gedanken unmittelbar in triviale Sätze, sie drängen sich mir in Sekundenschnelle auf. Trivialitäten sagen es oft knapp und bündig: ›Sie war wirklich eine Frau von beeindruckender Schönheit.‹ Diesen Satz dachte ich, weil es einfach stimmte. Und ich sage so etwas nicht so schnell. Meist schaue ich eine schöne Frau ganz genau an, bis ich entweder sehe, dass sie irgendwo ein bisschen zu dick oder zu dünn ist, oder – wenn da nichts zu machen ist – warte ich mindestens so lange mit meinem Urteil, bis sie mir Anlass gibt zu vermuten, dass sie wahrscheinlich
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