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Das Frauenkomplott

Das Frauenkomplott

Titel: Das Frauenkomplott
Autoren: Ulrike Kroneck
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Gelsenkirchener Barock hielt er für die Krönung der Tischlerkunst und Antiquitäten nannte er »antike« Möbel. Mit Such-Annoncen hatte er nebenher begonnen, ein selbstständiges Geschäft aufzubauen. Er sammelte »antike« Möbel und vertickte sie wieder – zunächst ohne großen Erfolg. Aber dann wurden ältere Möbel langsam teurer. Abgebeizte alte Küchenschränke und -buffets aus Fichtenholz trafen den Geschmack der Leute, die mit einem Mal alles, was älter war, für wertvoll hielten und bereit waren, die überteuerten Preise zu zahlen.
    Ruth verknallte sich sofort in ihn, als er in der Tür stand und die zwei alten Kiefernstühle mitnahm, die sie angeboten hatte. Sie musste damals das Häuschen ihrer Großmutter auflösen, das sie geerbt hatte. Sie schwärmte noch später, als er längst schon dünne Haare hatte, anderen gegenüber von dem athletischen blonden Kerl mit den langen Wimpern, der er einmal gewesen sei. Bei diesem fragwürdigen Kompliment schaute ich den mit den Jahren umfangreicher gewordenen Friedbert meist unverhohlen an. Er versuchte nämlich schon bald, seine dünn gewordenen Haare mit Haarspray fülliger wirken zu lassen.
    Die kurzzeitige Pracht der blonden Haare und die blauen Augen waren schuld daran, dass Ruth kurz vor ihrem Abschluss mit Freuden ihr nur widerwillig betriebenes Pharmaziestudium hinschmiss und Tobias, heute 22 Jahre alt, zur Welt brachte. In der Zeit ihrer Schwangerschaft zeichnete sie einen schönen Stuhl, in Anlehnung an ein »antikes« Modell, aber mit modernen Formen, und ließ ihn von einem befreundeten Tischler bauen. Ich war wie fast jedes Jahr auch in jenem Sommer in den Schulferien bei ihr. Friedbert hatte damals über Ruth gelacht und gesagt, sie solle die Finger von Dingen lassen, die sie nicht verstehe.
    Ich konzentrierte mich wieder auf das Gespräch mit meiner Cousine. Ich verstand ihren Zorn und konnte ihren Hass, nach meinem Ausbruch heute Morgen, umso besser verstehen. Innerlich gierte ich mit ihr nach Rache. Eine von uns musste jetzt aber ruhig bleiben. »Lass jetzt dieses Gezeter, du hast ja recht, aber es hilft doch nicht, du zermürbst dich nur. Wenn ich morgen komme, können wir in Ruhe sehen, was wir machen können.«
    »Was, du kommst morgen?« Ruth hatte mich also vorhin wirklich eingeklemmt und nicht gehört, dass ich sofort losfahren wollte. Die Vorstellung, Jerôme morgen wiederzusehen, nach dem heutigen Auftritt, war nicht besonders verlockend und so kam es mir eigentlich gelegen, zu Ruth zu fahren.
    »Ja, ich komme morgen früh!« Jerôme könnte die Korrekturen allein zusammenführen. Ich würde mich für Freitag krankmelden. Über das Wochenende musste ich mich nicht in meiner Wohnung vergraben – mit der trüben Aussicht auf die knapp drei weiteren und letzten Monate, die ich mit Jerôme noch gemeinsam arbeiten musste, bis der Vertrag beendet war.
    Ruth fing vor Begeisterung gleich wieder an zu weinen, und ich fühlte mich abermals ein wenig stärker als noch heute Mittag. Wenn es jemandem noch schlechter geht als einem selbst, kann das auch helfen. Ruth versprach mir, nicht mehr als diese eine Flasche zu trinken und sich mit ihrem Glas Rotwein vor die Glotze zu setzen.
    *
    Meine Nacht war nicht gerade ruhig. Jerôme verfolgte mich mit einem alten Stuhl und schlug ihn in Stücke, die sich wie beim Zauberlehrling rasend schnell vermehrten. Diese türmte er übereinander und setzte sich im Schneidersitz mit hämischer Miene oben drauf. Als er mich in der nächsten Traumphase küssen wollte, erwachte ich, gerade in dem Moment, als er seine feuchten Lippen auf meine Stirn drückte. Es war fünf Uhr, und ich konnte nicht mehr einschlafen. Ich starrte in den grauen Morgen hinter den Vorhängen meines Schlafzimmers und beschäftigte mich bis sieben damit, darüber zu grübeln, warum ich in der Endphase des Traums so gute Gefühle gehabt hatte. Ich hatte meiner Therapeutin versprochen, offen mit mir umzugehen, und versuchte mich an dem Gedanken, dass ich Jerôme möglicherweise irgendwie mochte und nur zu neurotisch war, um mir das bei Tageslicht einzugestehen. Aber ein Blick auf den letzten Newsletter unseres Projektes, dessen Kopf er zierte, ließ mich von diesem Gedanken Abstand nehmen. Ich hatte guten Grund, ihn nicht zu mögen, oder anders gesagt, bleibe ich dann doch lieber neurotisch, als mich von meiner Antipathie abbringen zu lassen.
    Unausgeschlafen sammelte ich meine Sachen in den Reiserucksack und war im ersten Zug, der den
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