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Das Frankenstein-Projekt (German Edition)

Das Frankenstein-Projekt (German Edition)

Titel: Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
Autoren: Robert C. Marley
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hinzu.
    »Da kommt Waylon«, sagte die zweite Stimme.
    Die Schritte machten vor der Tür halt. Wieder war die erste Stimme zu hören, dieses Mal jedoch lauter, deutlicher und förmlicher. Es war die Stimme eines Mannes, der zu seinem Vorgesetzten spricht. Jetzt konnte ich besser verstehen, was er sagte.
    »Haben Sie Prince erreicht?«
    Die neue Stimme antwortete – die Stimme der Autorität. Waylon. Der Name hörte sich amerikanisch an, aber er sprach mit einem schweren ausländischen Akzent.
    »Ja, ich habe ihn erreicht. Ich habe ihm alles erzählt.«
    »Wir haben seine Anweisungen befolgt. Wir haben genau das getan, was er gesagt hat«, fuhr die erste Stimme fort. Ich konnte hören, dass er Angst hatte, Angst davor, was Prince mit ihm machen würde, wenn er versagte.
    »Der Junge könnte die Wahrheit sagen. Das müssen Sie bedenken«, meinte die zweite Stimme. Auch dieser Mann hatte Angst.
    Waylon antwortete den beiden in ironischem, ruhigem Tonfall. Er genoss ihre Angst, ich konnte es hören. »Keine Sorge. Prince versteht das. Er macht euch nicht verantwortlich. Aber was auch immer die Wahrheit sein mag, der kleine West nutzt uns jetzt nichts mehr.«
    Ich lauschte so angestrengt, dass mein Körper ganz steif geworden war, und hatte den Hals gereckt, um mit den Ohren so nah wie möglich an die Tür heranzukommen, während meine Hände weiter an den Riemen zerrten.
    Eine oder zwei Sekunden lang hörte ich nichts. Nur die Stille und meinen zitternden Atem. Und mein wild pochendes Herz.
    Dann sagte Waylon im gleichen ruhigen und ironischen Tonfall: »Tötet ihn!«

Irgendwo habe ich mal gehört, dass das ganze Leben vor einem abläuft, wenn man stirbt. Bei mir war das nicht so. Ich war zu panisch, viel zu verrückt vor Angst, um mich an mein ganzes Leben zu erinnern. Stattdessen versuchte mein Gehirn verzweifelt, sich an etwas zu klammern, irgendetwas, das einen Sinn ergab, das als Erklärung für diesen unerwarteten Wahnsinn, für diesen Schmerz und diese entsetzliche Angst dienen konnte. Aber da war nichts. Keine Erklärung. Nichts, woran ich mich festhalten konnte. Ich hatte das Gefühl, als würde ich an einer steilen Eiswand hinunterrutschen, immer tiefer und tiefer ins Leere, während meine Finger an der glatten, ununterbrochenen Oberfläche nach einem noch so winzigen Halt suchten.
    Mit weit aufgerissenen Augen zerrte ich wie wild an den Riemen. Meine Gedanken rasten zurück zu diesem letzten Tag – der letzte Tag, an den ich mich erinnern konnte. Stunden schossen in einer einzigen Sekunde durch meinen Kopf, als ich zu dem Moment zurückkehrte, bevor ich an diesem Abend ins Bett gegangen war, bevor ich mein Referat für Geschichte geschrieben hatte, vor dem Streit mit Alex, zurück zum Anfang des Tages, zurück zum Morgen …
    Der Wecker war um 7:00 Uhr losgegangen – ein dröhnender Bass und eine wilde Gitarre aus dem iPod-Dock. Noch im Halbschlaf streckte ich die Hand aus und tastete nach dem Ausschalter, drückte drauf und döste weiter. Dann, nach der Digitalanzeige des Weckers exakt zehn Minuten später, drang von unten die Stimme meiner Mutter an mein Ohr.
    »Charlie! Es ist 7:00 Uhr! Du musst dich für die Schule fertig machen!«
    Ich stöhnte, drehte mich auf die Seite und brachte die Füße auf den Boden, noch bevor ich die Augen aufmachte. Als ich dazu in der Lage war, stand ich auf. Schlaftrunken taumelte ich aus meinem Zimmer direkt ins Bad. Ich kam langsam zu mir, stellte meinen Körper unter die Dusche, putzte die Zähne und rasierte meinen Bart, der noch immer nur stellenweise an Wangen, Kinn und Hals spross. Sah mir das Ergebnis im Spiegel an. Nicht schlecht: groß, schon über 1,80 Meter; schlank, aber mit breiten Schultern und gut definierten Muskeln dank des Trainings. Und das Gesicht? Keine Ahnung. Präsentabel, denke ich. Schmal, ernst und mit einem braunen Haarschopf darüber. Braune Augen. Ich bin gut mit den Augen. Ich versuche, ihnen einen ehrlichen Ausdruck zu geben und mein Gegenüber immer mit festem Blick anzuschauen.
    Ich ging zurück in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Aber bevor ich damit anfing, riss ich das aktuelle Blatt von meinem Tischkalender ab. Es war ein Sprachkalender. Auf den Rückseiten der Blätter stand das jeweilige Wort des Tages. Meistens las ich das neue Wort und versuchte, es mir zu merken, während ich mich anzog.
    Das Wort des heutigen Tages war timorous . »Ängstlich, furchtsam, mit einer Neigung, sich Sorgen zu machen.«
    Das war ein gutes Wort.
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