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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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mußte an Bord.
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    Jessod
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    The conspiracy theory of society... comes from
    abandoning God and then asking: »Who is in his
    place?« *
    Karl Popper, Conjectures and Refutations, 4, London, Rout-ledge, 1969, p.
    Der Flug tat mir gut. Ich hatte nicht nur Paris verlassen, sondern auch den Untergrund, ja den festen Grund und Boden, die Erdkruste. Himmel und Berge waren noch weiß von Schnee. Die Einsamkeit in zehntausend Metern Höhe, und dieses Gefühl der Trunkenheit, das man beim Fliegen immer hat, der Überdruck, die Durchquerung einer leichten Turbu-lenz. Nur hier oben, dachte ich, bekam ich endlich wieder Boden unter die Füße. Und so beschloß ich, Klarheit zu gewinnen, erst indem ich mir Fakten notierte, dann indem ich die Augen schloß und meinen Gedanken freien Lauf ließ.
    Zunächst einmal galt es, eine Liste der unbestreitbaren Tatsachen aufzustellen.
    Erstens: Diotallevi ist tot, das steht zweifelsfrei fest. Gudrun hat es mir gesagt. Gudrun ist in unserer Geschichte immer draußen geblieben, sie hätte nichts davon verstanden, und folglich ist sie die einzige, die noch die Wahrheit sagt.
    Weiter steht fest, daß Garamond nicht in Mailand war. Sicher, er könnte überall sein, aber die Tatsache, daß er nicht dort ist und in den letzten Tagen nicht dort war, erlaubt die Annahme, daß er in Paris war, wo ich ihn gesehen habe.
    Desgleichen ist Belbo nicht da.
    Nun, versuchen wir einmal anzunehmen, was ich am Samstag abend in Saint-Martin-des-Champs gesehen habe, ist wirklich geschehen. Vielleicht nicht so, wie ich es wahrgenommen habe, benebelt von der Musik und dem Weih-
    * Die Verschwörungstheorie der Gesellschaft... kommt aus der Abkehr von Gott und der daraus resultierenden Frage: »Wer ist an seine Stelle getreten?«
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    rauch, aber irgendwas ist da geschehen. So ähnlich wie damals die Geschichte mit Amparo: Als sie an jenem Abend in Rio nach Hause kam, war sie keineswegs sicher, von der Pomba Gira ergriffen worden zu sein, aber sie war sicher, in dem Umbanda-Tempel gewesen zu sein und geglaubt zu haben, daß — oder sich so verhalten zu haben, als ob — die Göttin in sie gefahren wäre.
    Richtig war schließlich auch, was mir Lia in den Bergen gesagt hatte, ihre Lesart war absolut überzeugend, die Botschaft aus Provins war eine harmlose Wäscheliste. Es hat nie Templerversammlungen in der Grange-aux-Dîmes gegeben.
    Es hat keinen Großen Plan und keine Botschaft gegeben.
    Für uns war die Wäscheliste ein Kreuzworträtsel gewesen, in dem die Kästchen noch leer waren und die Wortdefinitio-nen fehlten. Also mußten die Kästchen so ausgefüllt werden, daß alles zusammenpaßte. Aber vielleicht ist das Beispiel ungenau. Im Kreuzworträtsel überkreuzen sich Wörter, und sie müssen sich dort überkreuzen, wo sie gemeinsame Buchstaben haben. In unserem Spiel überkreuzten sich keine Wörter, sondern Begriffe und Fakten, und folglich mußten die Regeln andere sein, und letztlich waren es drei.
    Erste Regel: Die Begriffe verbinden sich per Analogie. Es gibt keine Regel, die auf Anhieb zu entscheiden erlaubt, ob eine Analogie gut oder schlecht ist, denn jedes Ding ähnelt jedem anderen unter einem bestimmten Aspekt. Beispiel: Kartoffel überkreuzt sich mit Apfel, da beides eßbare Ge-wächse sind und beide außerdem rund. Von Apfel kommt man durch biblische Assoziation zu Schlange. Von Schlange durch formale Ähnlichkeit zu Kringel, von Kringel weiter zu Rettungsring, von da zu Badeanzug, vom Baden zum Meer, vom Meer zum Schiff, vom Schiff zum Shit, vom Shit zur Droge, von der Droge zur Spritze, von der Spritze zum Loch, vom Loch zum Boden, vom Boden zum Acker, vom Acker zur Kartoffel.
    Perfekt. Denn die zweite Regel heißt: Wenn der Kreis sich am Ende schließt und tout se tient, ist das Spiel gültig. Von Kartoffel zu Kartoffel schließt sich der Kreis. Also ist die Kette richtig.
    Dritte Regel: Die Verknüpfungen dürfen nicht zu originell sein, sie müssen schon mindestens einmal irgendwo gemacht worden sein, besser noch öfter, von anderen. Nur so 735
    erscheinen die Kreuzungen wahr, weil selbstverständlich.
    Was ja übrigens die Idee von Signor Garamond war: Die Bücher der Diaboliker dürfen nichts Neues sagen, sie müssen das schon Gesagte immerzu wiederholen, was würde sonst aus der Kraft der Überlieferung?
    So hatten wir’s gemacht. Wir hatten nichts erfunden, nur die Teile neu arrangiert. So hatte es auch Ardenti gemacht, auch er hatte nichts erfunden, aber sein
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