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Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes
Autoren: Kevin Wignall
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trotzdem war Ella rundum zufrieden. Der Thailand-Trip mit Susie im vergangenen Jahr war dagegen der reinste Albtraum. Andererseits hatten sie mehrere Bekannte gewarnt, dass eine Reise mit dem Freund ein sicheres Rezept dafür war, seine Ferien zu vermurksen und seine Beziehung kaputt zu machen.
    Doch bislang lief alles wie am Schnürchen, und sie war froh, dass sie zusammen unterwegs waren. Wenn sie mit jemand anderem gefahren wäre, hätte sie ihn ohnehin ständig vermisst. Sie schaute ihn von der Seite an, die ungekämmten Haare und sein Gesicht, das schon eine gesunde Bräune angenommen hatte. Chris spürte ihren Blick und drehte sich mit einem fragenden Lächeln zu ihr um: »Was ist?«
    »Nichts.« Sie lächelte und beugte sich zu ihm vor. Er drehte sich zur Seite, gab ihr einen Kuss und schob ihr die Zunge zwischen die Lippen. Sie lachte ein wenig und erwiderte seinen Kuss – bis ihr die Situation doch zu peinlich wurde.
    »Später«, sagte sie und deutete zur Straße. »Ohne Publikum.« Sie ließ ihre Augen wieder über die Nachbartische gleiten, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtet hatte.
    »Du bist so verdammt protestantisch«, sagte Chris spöttisch.
    »Und du der geborene Italo-Hengst.«
    »Und ob. Ich schwör dir: Noch heut Abend werd ich mir ’ne fette Goldkette zulegen. Und ein Brust-Toupet obendrein.«
    Sie lachte, und beide widmeten sich wieder dem Panoptikum auf der Straße. Ihre Augen wanderten zu einem Mann, der im Café gegenüber saß. Er sah definitiv nicht wie ein Italiener aus, wirkte gleichzeitig aber völlig undefinierbar und durchschnittlich. Er war vermutlich in seinen Vierzigern, kurze Haare, mittelgroß – und in seinem Erscheinungsbild so normal, dass er in der Menge nicht weiter auffiel.
    Irritierend war nur, dass ihre Augen trotzdem an ihm hängen geblieben waren – und je länger Ella ihn anschaute, umso sicherer war sie, ihn schon einmal gesehen zu haben. Sie schloss ihre Augen, konnte aber keine Erinnerung abrufen. Dann starrte sie ihn erneut an. Da er ebenfalls in die Beobachtung der passeggiata vertieft schien, nahm sie die Gelegenheit wahr, ihn genauer zu studieren – und sich einmal mehr zu fragen, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Vielleicht am Bahnhof in Rom? Auf der Ponte Vecchio? Am Duomo in Florenz?
    Die Vorstellung, dass sie ihn möglicherweise in Rom und Florenz gesehen hatte, beunruhigte sie, und sie versuchte eine Weile vergeblich, sich von ihm abzulenken. »Chris, siehst du den Burschen da drüben?«, sagte sie schließlich. »Kurzärmliges blaues Hemd. Um die vierzig.«
    »Was soll mit ihm sein?«
    »Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich bin mir sicher, ihn sowohl in Rom als auch in Florenz gesehen zu haben.«
    »Wenn er ein Stalker ist – stellt er dann dir nach oder mir?« Sie musste lachen. »Hör mal zu«, sagte er. »In einem Land wie Italien besuchen alle Touristen die gleichen Orte. Es gibt hier wahrscheinlich ’ne ganze Menge Leute, die vorher in Rom und Florenz waren.«
    Er übertrieb ein bisschen und ignorierte die Tatsache, dass Montecatini nicht gerade eine Touristenhochburg war. Und trotzdem hatte er wahrscheinlich recht: In Thailand letztes Jahr hatten sie immer wieder die gleichen Leute getroffen, die kreuz und quer durchs Land reisten – oft genug auch an den unwahrscheinlichsten Orten.
    Sie schaute noch einmal zu dem Mann hinüber und war genervt, dass er ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte, und versuchte, endgültig das Thema zu wechseln. »Es ist hübsch hier, oder? Nicht so überlaufen.«
    »Scheint auch nicht ganz so heiß zu sein. Vielleicht sollten wir ein paar Tage hier abhängen, uns in ein Thermalbad setzen und einfach entspannen.«
    »Da hätte ich nichts dagegen«, sagte sie. »Venedig kann warten.« Sie schaute wieder zur Straße hinüber. Sie brauchte ein, zwei Sekunden, um ihn wiederzufinden, und als sie ihn erspäht hatte, fiel ihr auf, wie nervös er plötzlich wirkte – und dass diese Unruhe seltsamerweise sofort auf sie übergriff. Er schaute die Straße hinauf, doch als sie seinem Blick zu folgen versuchte, konnte sie nichts entdecken – niemanden, der in irgendeiner Form aus der Masse herausstach.
    Sie schaute zu ihm zurück und zuckte zusammen. Er starrte sie inzwischen unvermittelt an und sprang von seinem Sitz auf. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken und machten einer wachsenden Panik Platz. Eine Gruppe mit Kindern spazierte gerade auf dem Bürgersteig vorbei, und als sie
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