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Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes
Autoren: Kevin Wignall
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Er war verschwunden, und die beiden standen allein in der Lautlosigkeit des Zimmers. Es war, als hätten sie zum ersten Mal den Raum und die Zeit, um die Ereignisse sacken zu lassen. Ella wollte ihren Tränen freien Lauf lassen und von Chris getröstet werden, doch der starrte noch immer geistesabwesend und hilflos vor sich hin.
    »Ich muss mal pinkeln«, sagte er schließlich – als wäre ihm erst in diesem Augenblick sein Körper wieder bewusst geworden. Er ging zum Bad und schloss die Tür.
    Ella saß auf der Bettkante und schaute auf die Pistole, die auf dem Nachttisch lag, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Sie wollte inzwischen nicht mehr weinen, sie wollte nur noch, dass Lucas zurückkam.
    Chris blieb lange im Bad, und als er die Tür öffnete, waren seine Augen gerötet. Sie hatte ihn noch nie weinen, nie wütend gesehen – und wollte ihn in der gleichen Weise trösten, wie sie es sich vor einigen Minuten noch selbst gewünscht hatte. Aber er wirkte verlegen, und sie spürte eine Wut und Aggressivität,die offensichtlich auch auf sie gerichtet waren.
    »Bist du okay?«
    Er antwortete nicht.: »Woher wissen wir, wer dieser Kerl wirklich ist?«, sagte er stattdessen. »Wer sagt uns, was eigentlich hinter dieser ganzen Geschichte steckt? Du hast mir nie erzählt, dass deine Familie so reich ist.«
    »Ist sie auch nicht.«
    Er zuckte mit den Schultern, als würde sie seine Ansicht dadurch bestätigen.
    »Und trotzdem glaubst du diesem Typen, dass er von deinem Vater als Bodyguard engagiert wurde, um dich vor Entführern zu schützen. Woher wissen wir überhaupt, dass diese zwei Männer Kidnapper waren?«
    »Sie waren bewaffnet.« Doch wenn sie darüber nachdachte, konnte sie sich nicht erinnern, Waffen gesehen zu haben.
    »Und was sagt uns das? Vielleicht waren sie ja von der Polizei. Was auch die schusssicheren Westen erklären würde. Warum sollte ein Entführer eine derartige Weste tragen? Weil er Angst hat, du könntest plötzlich selbst eine Knarre auf ihn richten?« Sie musste sich eingestehen, dass er nicht unrecht hatte. Sie hatten keinerlei Informationen über Lucas – so es denn sein richtiger Name war – und nur die Behauptung, dass er engagiert worden war, um sie zu beschützen. »Es könnte genauso gut sein, dass er in diesem Moment deinen Vater anruft und seine Lösegeldforderung stellt. Was für ein genialer Trick: Der Kidnapper überzeugt seine Opfer, dass sie in Lebensgefahr schweben – und dass er sie beschützen soll.«
    Sie dachte darüber nach, dachte an all die offenen Fragen und Lucas’ offensichtliche Weigerung, sie zu beantworten. Sie wussten von ihm eigentlich nur, dass er sie in den letzten Tagen verfolgt hatte, dass er kaltblütig zwei Männer erschossen hatte und gefälschte Reisepässe von ihnen besaß. Andererseits machte er nicht den Eindruck, als würde er sie hinters Licht führen wollen.
    »Ich glaube ihm«, sagte sie schließlich. »Wenn er lügen würde, hätte er sich richtig ins Zeug gelegt, um uns von seiner Version zu überzeugen. Hat er aber nicht. Er geht schlicht und einfach davon aus, dass wir ihm glauben, weil er nun mal die Wahrheit sagt. Er kann sich gar nicht vorstellen, warum wir ihm nicht glauben sollten. Ich weiß, das klingt alles verrückt, und ich würde wirklich gerne mit meinem Vater darüber reden, aber ich glaube, dass Lucas die Wahrheit sagt.«
    Chris schaute sie an und sagte nichts. Schließlich nickte er, scheinbar zustimmend, schaute auf die Pistole und sagte: »Dann sitzen wir wirklich tief in der Scheiße.«
    Ella schaute ebenfalls auf die Waffe, konnte aber nicht umhin, seine Aussage heimlich zu ergänzen: Sie war es, die in der Scheiße saß, nicht er. Wie immer das Ganze weiterging: Früher oder später konnte Chris sich abseilen, wenn er wollte. Im Zweifelsfall auch ohne sie.
    Was ihr blieb, war das dumpfe Gefühl, dass dieses Ding auf dem Nachttisch Teil einer Realität war, von der sie ihr Vater bislang bewusst ferngehalten hatte – eine Realität, für die in ihrer Kindheit und Jugend kein Platz gewesen war, die sich nun aber mit aller Macht zu Wort meldete. Und selbst wenn sie diese Geschichte heil überstehen würde, selbst wenn sie sich nie wiederholen sollte – sie würde immer in Alarmbereitschaft leben, immer in einer Menschenmenge ängstlich nach einem neuen Lucas Ausschau halten.

DREI
    Lucas hatte das Gefühl, dass etwas faul war. Er hatte zweimal angerufen – nur um der Möglichkeit Rechnung zu tragen,
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