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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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auf, dass seine roten Haare dringend geschnitten werden müssen.
    „Morgen, Ben. Sie können Petra nicht finden.“ Ich gehe an ihm vorbei zu Callis Tür und stoße sie auf. Ihr Bett ist zerwühlt, ihr Strumpfaffe liegt auf dem Boden, sein lächelndes Gesicht mir zugewandt. Dann drehe ich mich um. „Ben, wo ist Calli?“
    Er zuckt mit den Schultern und verschwindet wieder in seinem Zimmer. Schnell schaue ich ins Gästezimmer, in mein Zimmer, in Bens Zimmer. Ich renne die Treppe hinunter. „Calli ist auch fort!“ Ich laufe an Louis und Martin vorbei, die klapprigen Kellerstufen hinunter, knipse auf dem Weg nach unten das Licht an, die kühle Feuchtigkeit hüllt mich ein. Nur Spinnenweben und Kartons. Unsere alte, leere Kühltruhe. Mein Herz setzt für einen Schlag aus. Man hört davon, dass Kinder in alten Gefrierschränken Verstecken spielen und allein nicht mehr herauskommen. Ich habe Griff wieder und wieder gesagt, dass er das alte Ding endlich entsorgen soll. Aber er hat es nie getan. Ich auch nicht. Schnell renne ich zur Kühltruhe, reiße den Deckel auf, die abgestandene Luft trifft mich wie ein Schlag. Die Truhe ist leer. Ich versuche, meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, und gehe zurück zur Treppe. Ich sehe, dass Martin und Louis oben auf mich warten. Ich renne die Stufen hinauf, an ihnen vorbei und durch die Hintertür nach draußen. Ich suche den Garten ab, renne an den Waldrand, starre angestrengt zwischen die Bäume. Erschöpft gehe ich langsam zurück zum Haus. Louis und Martin warten hinter der Fliegentür auf mich. „Sie ist nicht da.“
    Louis’ Gesichtsausdruck zeigt keine Regung, aber auf Martins Miene spiegelt sich seine Enttäuschung.
    „Nun, sie sind wahrscheinlich irgendwo zusammen spielen. Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnten?“, will Louis wissen.
    „Im Park? An der Schule, vielleicht. Aber so früh? Wie spät ist es, sechs Uhr?“, frage ich zurück.
    „Petra ist seit mindestens halb fünf heute Morgen weg“, sagt Martin nüchtern. „Wo sollten sie so früh schon hingegangen sein?“
    „Ich weiß es nicht, es ergibt keinen Sinn“, antworte ich. Louis fragt mich, ob er sich umsehen darf, und ich beobachte ihn, folge ihm dicht auf den Fersen, während er entschlossen durch mein Haus geht, in Schränke und unter Betten guckt. Sie ist nicht da.
    „Ich habe bereits Meldung über Petras Verschwinden rausgegeben. Alle Officer halten die Augen nach ihr offen“, erklärt Louis. „Es sieht nicht so aus, als ob die Mädchen …“ Er hält kurz inne. „Dass ihnen irgendetwas passiert ist. Ich schlage vor, dass ihr die Stellen absucht, an denen sie sich normalerweise aufhalten.“ Martin scheint nicht recht überzeugt, aber er nickt trotzdem und ich auch.
    „Toni, Griffs Truck steht noch draußen. Ist er da? Kann er uns sagen, wo die Mädchen sein könnten?“
    Es ist Louis’ vorsichtige Art zu fragen, ob Griff an diesem Morgen vernehmungsfähig ist oder ob er die Nacht durchgesoffen hat. „Griff ist nicht hier. Er ist heute Morgen mit Roger zum Angeln gefahren. Er wollte gegen halb vier oder so los.“
    „Hat er die Mädchen vielleicht mitgenommen?“ Martin klingt hoffnungsvoll.
    „Nein“, lache ich. „Das Letzte, was Griff tun würde, wäre, zwei kleine Mädchen mit auf seinen Angelausflug zu nehmen. Er kommt erst am Sonntag zurück. Ich bin mir sicher, dass er die Kinder nicht mitgenommen hat.“
    „Ich weiß nicht, Toni. Vielleicht hat er die Mädchen kurz entschlossen eingepackt. Eventuell liegt irgendwo eine Notiz von ihm.“
    „Nein, Louis. Ich bin mir sicher, dass er das nicht gemacht hat.“ Langsam werde ich gereizt.
    „Okay, gut. Dann sprechen wir uns in einer Stunde wieder. Wenn die Mädchen bis dahin nicht wieder aufgetaucht sind, überlegen wir uns einen neuen Plan.“
    Ich höre ein Geräusch und drehe mich um. Ben sitzt auf der obersten Treppenstufe. Beim flüchtigen Hinsehen könnte man ihn für Griff halten, mit seinen breiten Schultern und dem rotblonden Haar. Wären da nicht seine Augen. Ben hat sanfte, stille Augen.
    „Der Wald“, sagt er ruhig. „Ich werde die Zeitungen austragen und dann nach ihnen suchen.“
    „Und ich bitte einige Officer, das an euch angrenzende Waldstück zu durchsuchen. Eine Stunde“, wiederholt Louis. „Wir sprechen uns in einer Stunde.“

Ben
    Heute Morgen bin ich abrupt aufgewacht, mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Ich habe wieder diesen Traum gehabt. Den, in dem du und ich auf den Walnussbaum im Wald
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