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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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schließen, um die sich gerade die ersten Anzeichen von Alter und Enttäuschung abzuzeichnen begannen. Wenn Antonia lachte, lachten alle um sie herum mit, außer Calli. Calli hatte seit langer Zeit nicht mehr gelacht. Sie lächelte ihr süßes Lächeln mit geschlossenen Lippen, aber ein wirkliches Kichern, was einst frei aus ihr herausgebrochen war und wie ein Windspiel geklungen hatte, ertönte niemals mehr, auch wenn sie wusste, dass ihre Mutter sehnsüchtig darauf wartete.
    Antonia war die Art Mutter, die einen Cornflakes mit Zucker zum Abendbrot und Pizza zum Frühstück essen ließ. Die an einem regnerischen Abend erklärte, es sei Beauty-Tag, und dich mit französischem Akzent in ‘Tonis Schönheitssalon’ empfing. Sie füllte dann die alte Badewanne mit den Löwenfüßen mit warmem, nach Flieder duftendem Schaum, und später, nachdem sie dich mit einem riesigen weißen Handtuch abgerubbelt hatte, lackierte sie dir die Fußnägel in verruchtem Rot oder zauberte dir mit Haarschaum und Gel einen Igelkopf.
    Griff hingegen war die Art Vater, die Budweiser Light zum Frühstück trank und seine siebenjährige Tochter auf der betrunkenen Suche nach seiner Version der Wahrheit durch den Wald zerrte. Als die Sonne am Himmel aufstieg, machte Griff mit ihr unter einer der Weiden Rast.

Martin
    Ich kann Fieldas Gesicht an meinem Rücken spüren, ihre Arme umfangen meinen immer größer werdenden Bauch. Es ist zu heiß, um so beieinanderzuliegen, aber ich stupse sie nicht von mir fort. Selbst wenn ich mich in Dantes Inferno befände, könnte ich Fielda nicht von mir stoßen. Seit unserer Hochzeit vor vierzehn Jahren waren wir nur zwei Mal getrennt, und beide Male erschien es mir mehr, als ich ertragen konnte. Über das zweite Mal, als Fielda und ich nicht zusammen waren, spreche ich nicht. Das erste Mal war neun Monate nach unserer Hochzeit, als ich eine Wirtschaftskonferenz an der Universität von Chicago besuchte. Ich erinnere mich daran, auf dem Hotelbett mit der steifen, kratzigen Überdecke gelegen und mich nach Fielda gesehnt zu haben. Ohne sie fühlte ich mich haltlos, als ob ich, ohne ihren im Schlaf träge über mich geworfenen Arm, davontreiben könne wie Pappelsamen im sanften Wind. Nach dieser einsamen Nacht ließ ich den Rest meines Seminars sausen und fuhr heim.
    Fielda lachte mich meines Heimwehs wegen aus, aber ich weiß, dass es ihr heimlich schmeichelte. Sie ist spät in meinem Leben zu mir gekommen, ein junges, freches Mädchen von achtzehn Jahren. Ich war zweiundvierzig und verheiratet mit meinem Beruf als Professor für Volkswirtschaft am St. Gilianus College, einem Privatcollege in Willow Creek mit nur zwölfhundert Studenten. Nein, sie war keine Studentin; viele haben mich das gefragt, in einem leicht anklagenden Ton. Ich habe Fielda Mourning kennengelernt, als sie als Kellnerin im Café ihrer Familie jobbte. Jeden Morgen kehrte ich auf meinem Weg zum College im Mourning Café ein, um mit einer Tasse Kaffee, einem englischen Muffin und der Tageszeitung meinen Tag auf einem sonnendurchfluteten Eckplatz zu beginnen. Ich erinnere mich an die Fielda aus diesen Tagen als sehr beflissen und liebenswürdig, der Kaffee kochend heiß, der Muffin mit einem Schälchen Butter serviert. Ich muss zugeben, dass ich diesen aufmerksamen Service als selbstverständlich betrachtete; ich glaubte, dass Fielda alle ihre Kunden mit der gleichen Aufmerksamkeit behandelte. Wie falsch ich damit lag, bemerkte ich erst an einem winterlichen Morgen, ungefähr ein Jahr nachdem ich angefangen hatte, täglich ins Mourning Café zu gehen. Fielda stapfte auf mich zu, eine Hand in die wohlgerundete Hüfte gestemmt, in der anderen meinen Kaffeebecher.
    „Was“, fragte sie in erschreckender Lautstärke, „muss ein Mädchen noch tun, um Ihre Aufmerksamkeit zu wecken?“ Sie knallte den Becher vor mich hin, meine Brille hüpfte überrascht von meiner Nase, Kaffee spritzte über den Tisch.
    Bevor ich eine Erwiderung herausstottern konnte, war sie schon wieder verschwunden, um gleich darauf mit meinem Muffin zurückzukehren, den sie in meine Richtung warf. Er prallte von meiner Brust ab, kleine Krümel orangefarbener Mohnsamen klammerten sich an meine Krawatte. Fielda stürmte aus dem Café, und ihre Mutter, eine sanfte, erschöpfte Version von Fielda, schlenderte zu mir hinüber. Sie verdrehte die Augen und seufzte: „Gehen Sie hinter ihr her, und reden Sie mit ihr, Mr. Gregory. Sie schmachtet Sie schon seit Monaten an. Entweder Sie
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