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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Autoren: Thomas Willmann
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möglich über sich, seine Herkunft, seine Absichten, das Leben in der weiten Welt da draußen entlocken wollte – worauf der ihr nur Antworten bescherte, die zwar höflich und freiheraus daherkamen, die aber doch stets knapp und sehr im Allgemeinen blieben. Luzi beschaute sich das Spiel, ohne sich selbst mit einer Frage zu beteiligen, aber mehr als einmal packten ihre Augen die seinen genau dann, wenn in persönlichen Dingen sich seine Sätze mit kunstvoller, die Wissbegier der Witwe mit allerlei Nebensächlichem zufriedenstellenden Beiläufigkeit einer klaren Auskunft entwunden hatten.
    Zugleich nutzte der Gast jede Möglichkeit, seine Antworten in Gegenfragen zu kehren, und hatte mit diesen bei der offenherzigen Frau ergiebigeren Erfolg. Lang dauerte es nicht, bis er alles Wesentliche über ihr – zu seiner Gänze hier oben im Hochtal zugebrachtes – Leben erfahren hatte. Viel war dies ohnehin nicht, geprägt, wie die Jahre waren von der Wiederkehr des immer Gleichen, und die Tage gefüllt von dem arbeitsreichen Mühen um eine leidliche, gottgefällige Existenz. Selbst was in diesem Leben als herausragend galt, hatte für den Außenstehenden wenig Besonderes: Es war die Hochzeit und der Tod des Ehemanns – ein Unfall im steilen Bergwald – und die Geburt der Kinder. Nur dass die Witwe vor Luzi schon einen Sohn zur Welt gebracht hatte, hätte Greider nicht selbst erraten können, und auch nicht, dass dieser Sohn ebenfalls tödlich verunglückt war, nur wenigeMonate vor ihrem Mann. Dies schien das einzige Thema, bei dem die Frau wortkarg wurde. Diese Wunde war nicht gut verheilt, und Greider kam rasch auf anderes zu sprechen.
    Nur einmal noch kam die Rede der Frau ähnlich ins Stocken. Es war, als Greider das Gespräch auf die sechs Männer lenkte, die ihn zum Haus der Witwe geleitet hatten. Zu diesem Zeitpunkt schien der Frau eigentlich schon alle Scheu vor dem Gast verloren gegangen, war der Ton in der Stube unbeschwert geworden, hatte auch Luzi sich hin und wieder mit einer kleinen Geschichte eingemischt. Doch sobald Greider die sechs erwähnte, war es plötzlich, als stünden diese wieder im Raum, und die Witwe druckste herum und hätte am liebsten gar nichts gesagt. Aber wo es denn nun mal sein musste – vielleicht nicht einmal aus Höflichkeit gegenüber dem Gast, sondern weil eine strikte Weigerung auf ihre Weise verräterisch gewesen wäre –, schien sie jedes Wort vorab in Gedanken hin und her zu wenden.
    »Des sind die Buben vom Brenner Bauern«, kam es ihr schließlich über die Lippen.
    »Vom Brenner Bauern?« fragte Greider nach, der den Namen zum ersten Mal hier im Tal hörte.
    Noch einmal kauten die Gedanken der Gader-Witwe eine Weile an ihren folgenden Worte herum:
    »Der schafft an, was hier heroben geschieht.«
    »Und des waren alle seine Buben?« wollte Greider wissen.
    Lange blickte die Frau in sein Gesicht, darin nach irgendetwas Bestimmtem forschend. Sie schien es nicht zu entdecken.
    »Alle sechse san’s seine«, sagte sie schließlich.
    Eine Weile plauderte man noch, ohne dass sich so recht jene Vertrautheit einstellen wollte, die an diesem Abend schon geherrschthatte zwischen den dreien. Allen schien es nur recht, dass Greider sich die zunehmende Müdigkeit am Ende dieses strapaziösen Tages immer deutlicher anmerken ließ und so ein guter Grund gefunden war, weitere Unterhaltung auf ein andermal zu verschieben und den Gast sich in die Kammer zurückziehen zu lassen.
    Luzi geleitete ihn mit einer Petroleumlampe nach oben und entzündete das Licht auf seinem Waschtisch. Als sie ihm eine gute Nacht wünschte, hob sie ihre Leuchte auf Kopfhöhe und begutachtete noch einmal Greiders Gesicht, das sich dieser Musterung einmal mehr freimütig stellte, ohne etwas preiszugeben.
    Sobald das Mädchen die Kammer verlassen hatte, zog Greider unter dem Tisch eines der beiden Lederfutterale hervor. Er löste den Riemen, mit dem der Deckel am einen Ende der Röhre verschlossen war, und schüttelte deren Inhalt vorsichtig ein Stück weit heraus, bis er ihn fassen und behutsam ganz ans weiche Licht der Öllampe ziehen konnte. Es war eine stattliche Rolle weißer Leinwand. Offenbar war dies der Vorrat an Malgrund, der sich diesen Winter mit Bildern füllen sollte. In der Mitte der Rolle aber befand sich noch etwas. Greider lockerte die Wicklung der Leinwand ein wenig, was ein säuselndes Geräusch gab, und griff dann sacht in sie hinein. Was er da langsam herausbeförderte, war wiederum ein Stück
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