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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett
Autoren: Anthologie
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Pirouetten und Levaden vorführten.
    Eben wurde ihr gemeldet, daß Herr Oberstleutnant Redl sein Séparée mit dem verdächtig geschminkten jungen Kadetten nach leise geführter Konversation verlassen habe. Gott sei Dank, seufzte Frau Sacher, deren menschenkennerische Intuition alarmiert war. Er gefiel ihr nicht, der Herr Oberstleutnant Redl aus Prag, ganz und gar nicht. Aber was vermochte sie gegen die Herren des Generalstabes und dessen Geheimdienste. Nichts. Genauso wenig, wie sie die Ehebrüche unlösbar Verheirateter verhindern konnte, war sie nicht in der Lage, etwas gegen den militärischen Hochverrat zu tun, selbst wenn sie von einem solchen gewußt hätte. Ihre Beziehungen zur Wiener Polizei waren zwar ausgezeichnet, gründeten sich aber vorwiegend mehr auf ihre Diskretion als auf ihre allfällig notwendige Indiskretion. Die österreichischen Aufmarschpläne gegen Rußland gingen also gegen Judaslohn nach Petersburg zum Zaren, dessen handsigniertes Lichtbild hinter ihrem Rücken an der Wand hing. Und Herr von Redl würde sich in Kürze eine Kugel in die Schläfe jagen.
    Aufseufzend schloß sie ihre Papiere ein und begab sich mit den zu engen Schuhen in der ringgeschmückten Hand auf Strümpfen zur wohlverdienten Ruhe.
    Nun war nur noch der Kleine Salon belegt, und dort ging es hoch her. Der Gastgeber war einer ihrer Lieblinge: Alexander Graf Kolowrat, von seinen Freunden zärtlich Sascha genannt, ein Aristokrat, der sich von dem österreichischen Hochadel unterschied. Zwar war auch er ein Feudalherr, Sport-, Turf-, Frauen- und Kunstliebhaber, Rennstallbesitzer, Clubpräsident - aber darüber hinaus ein moderner Industriemagnat, ein investierfreudiger Unternehmer, an technischen Innovationen interessiert, in vieler Hinsicht fachmännisch engagiert.
    Seine berühmten »Herrenabende« fanden allmonatlich statt und pflegten sich durch die spezifischen weiblichen Ehrengäste auszuzeichnen. Heute kam man von einem kollektiven Besuch des renommierten Ronacher-Etablissements, dessen artistisches Programm aus internationalen Weltnummern bestand, aber auch dem Nachwuchs der Variete- und Zirkuswelt Chancen gab. Und so war man als Offizier, Geschäfts- und Sportmann diesmal statt mit den Koryphäen der Hofoper, des Ballettes oder des Burgtheaters mit den Sternen der Artistik konfrontiert, u. a. einer Zirkusreiterin der Hohen Schule, einer Volkssängerin, die gerade en vogue geworden war und die »Pawlatschn« mit der großen Music-Hall-Bühne vertauscht hatte, einer Parterreakrobatin, einer Panneautänzerin, die auf dem Rücken eines Zirkuspferdes ihre klassische Spitzenballettkunst darbot, und anderem »Fahrenden Volk«, das sich jäh aus dem Wohnwagen, der Roulotte und aus den Varietepensionen in einen Speisesaal von funkelnder Eleganz versetzt sah - und durchaus keine schlechte Figur machte, so sehr es auch vielfachen Verlegenheiten ausgesetzt war.
    Nach einem solennen Souper mit hitzigen Tischgesprächen über Theater- und Kulissentratsch war man zum »bunten Teil« übergegangen. Die Volkssängerin gab mit Erfolg eine Imitation ihrer berühmten, im Wahnsinn gestorbenen Vorgängerin Mansfeld zum besten, von der man behauptete, allein ihre Vortragskunst habe aus einem Vaterunser eine obszöne Darbietung zu machen gewußt.
    Danach geriet man in eine Debatte über die Grenzen und die Fragwürdigkeit der ästhetischen Reize weiblicher Akrobatik, und die hübsche rotblonde Contorsionistin, die bereits in der Vorstellung bei den Varietehabitues Aufsehen erregt hatte, zögerte nicht, die umstrittenen Werte und Qualifikationen hautnah und anschaulich der Überprüfung zu stellen.
    Schnell war die Tafel freigemacht von den Obstresten der silbernen Tutti-frutti-Körbe, den kaltbeschlagenen Bechern der Eisdelikatessen, den zierlich bedruckten plissierten Papiertellerchen der Petit Fours, den Überbleibseln der Confiserien, den halbvollen Sektkelchen, dunkelfarbenen Likörgläsern und Mokkatassen. Das Bedienungspersonal wurde aus dem Salon gewiesen, soweit es dieses nicht erfahrungsgewitzt von selbst verlassen hatte.
    Die Akrobatin - offensichtlich böhmisch-mährischer Herkunft -, die, nachdem sie sich ihres Kleides entledigt hatte, zwischen den letzten Streublümchen der Tafeldekoration sich zu produzieren anschickte, war eine fast noch kindhafte, aber wohlproportionierte und voll entwickelte Person mit einer kecken Stupsnase, die bürgerlich Ludmilla hieß, sich aber, dem Brauche entsprechend, einen fantasievollen
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