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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett
Autoren: Unknown
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er
bewohne, und — wenn sie Lust habe — die Nacht dort zu verbringen.
    Diese mit viel ungeschickten
Worten vorgebrachte Invitation, absolument sans façon, and without any official
ceremonity, war deutlich, und ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie konnte sich
nicht täuschen. Sie war sicher, daß es dabei nicht — wie in so vielen Nächten,
die Tänzer miteinander verbrachten — bei endlosen Fachgesprächen an russischen
Samowaren und staubigem Gebäck bleiben würde. Die Nacht des seligschrecklichen
Rituals war endlich gekommen — »le sacre du printemps«, schoß es ihr durch den
Kopf — , das große festliche Frühlingsopfer, das blutige Opfer ihres
Lebensfrühlings stand nun endgültig bevor. Ihre nervösen Schauer, diese
Mischung erwartungsvollen Glücksgefühles und mythischer Angst, waren
begreiflich — sie fühlte Al gegenüber in gewisser Hinsicht ein schlechtes
Gewissen — , und infolgedessen kam es am Vorabend des großen Ereignisses aus
nichtigem Anlaß zu einem Riesenkrach, der längst verheilte Gegensätze wieder
aufriß.
    In der Nacht packte sie abermals
ihre Sachen, vergaß nicht den Regenschirm der Tante zwischen Koffer und
Lederriemen zu vertäuen, legte ihr bestes Sommerkleid heraus und schrieb Al
einen Brief, den wir wegen seiner reizvollen Verwirrtheit dem Leser nicht
vorenthalten werden, hatte dann eine unruhige Nacht und verließ frühmorgens zum
zweitenmale klammheimlich diese Wohnung, nahm das erste Postauto, deponierte
ihr Jungmädchengepäck in der »Académie de danse« und wanderte, der Stunde der
Wahrheit entgegenfiebernd zwischen Glückseligkeit und Bangen, durch die
vitriolgefärbten Weingärten Mergoscias. Der Brief aber, den Al am Morgen fand,
lautete:
    Lieber Al,
ich war ein junges Mädchen, das suchend auf dem Weg war, aber ist Suchen nicht
der ewige Auftrag eines jeden Menschen? Ich war ein störrisches Maultier, das
im Nebel suchend seinen Weg finden wollte, im Lande, wo im dunklen Laub die
Goldorangen glühn, wie Mignon — auch eine arme kleine Tänzerin — singt. Ich
dumme Gans glaubte einen Augenblick, der Weg würde mich zu Dir führen, und Du
wärst der Mann, der meine weibliche Lebenslinie an jenem entscheidenden
geometrischen Punkt kreuzen würde, Du weißt schon, was ich meine, und diese
Metapher ist scheußlich, ich weiß, aber mir fällt im Augenblick keine andere
ein, entschuldige, bitte.
    Ich irrte, ich dumme Kuh — diese
Anhäufung zoologischer Begriffe zeigt nur, mit wievielen abschätzigen Tiernamen
ich mich in den letzten Wochen laufend belegte. Aber ich bin sicher, daß ich
nun den Weg zu einem Mann gefunden habe, der mein — zugegeben verwirrtes — Suchen
lohnt. Ich scheide mit Bedauern, aber ohne Abschied von Dir, denn mein
zukünftiges Schicksal ist mir vorgezeichnet, wo immer es mich auch hinführen
mag. Du wirst diese kleine Episode mit Deinem Schneewittchen, das endlich eine
Frau werden will, sicher leicht vergessen. Ich habe Dir jedenfalls für Vieles
zu danken, und Du hast mit der Fackel Deines Geistes — wieder eine pathetische
Phrase, für die ich um Verzeihung bitten muß — manches Licht in die Dunkelheit
meines strebenden Dranges gebracht. Jedenfalls warst Du es, der mir — gegen
meinen Willen — den rechten Weg wies, obwohl Du Dir darüber wohl nicht klar
sein wirst. Ach was, ich bin keine Schriftstellerin, sondern eine Tänzerin, und
schöngeistige Briefe sind nicht meine Sache, sondern gequirlte Schifferscheiße,
wie du es einmal so trefflich ausgedrückt hast. — Jedenfalls, wie immer es auch
zwischen uns gewesen sein mag: Ich habe Dich geliebt. Lebwohl.
    Blanche
     
PS.: Grüß Deine Schwester von mir, Mericia wird mich verstehen.
    Die Obige
    Dieses Schreiben löste bei Al, den wir
doch vorwiegend von einer phlegmatisch-ironischen Seite kennen, eine
überraschende Wirkung aus. Während für Blanche die Zeit nur langsam verstrich,
erfaßte ihn eine ungewohnte, hektische Aktivität und ein zunehmender heiliger
Zorn. Diese dumme Pute, wo war sie nur hingelaufen? dachte er, ohne sich bewußt
zu werden, daß er dem reichhaltigen zoologischen Vokabular der Selbstbezichtigungen
Blanches ein weiteres Animal hinzufügte. Auf die Brissagoinseln?
Unwahrscheinlich. Aber einen Anruf war es wohl wert. Nein, hieß es, man habe
die junge Dame seit dem bewußten Abend nicht mehr gesehen. Sei sie denn
überhaupt noch im Tessin? — Er warf sich in den Wagen und fuhr die
einschlägigen Cafés, Osterien, Grotti, Schwimmbäder und Solarien ab.
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