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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
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Argwohn schon unvermeidlich war, dann hatte er ihn immer kurz mit dem Hinweis hinwegerklärt, daß unsere Aktivitäten ernstliche Erinnerungs-Diskrepanzen begünstigten.
    Nachdem wir beide uns an diesem Tag am selben Ort befunden hatten, bewegte mich nun die Frage, ob es möglich wäre, daß zwei oder mehr Menschen in der gleichen Traum-Position erwachten.
    »Gewiß«, sagte er. »Das ist der Grund, warum die alten Tolteken-Zauberer scharenweise ins Unbekannte aufbrachen. Sie folgten einer dem anderen. Niemand weiß, wie es zugeht, daß einer dem anderen folgen kann. Es geschieht einfach. Der Traum-Körper tut es einfach. Die Gegenwart eines anderen Träumers spornt ihn dazu an. An diesem Tag hattest du mich mitgezogen. Ich folgte, weil ich bei dir sein wollte.«
    Ich hätte noch viele Fragen an ihn gehabt, aber alle erschienen sie mir jetzt überflüssig. »Wie ist es nur möglich, daß ich mich nicht an die Nagual-Frau erinnert habe?« murmelte ich, und eine schreckliche Beklommenheit und Sehnsucht überfielen mich. Ich gab mir Mühe, nicht mehr traurig zu sein, aber diese plötzliche Trauer brannte in mir wie ein Schmerz.
    »Du erinnerst dich noch immer nicht an sie«, sagte er. »Nur wenn dein Montagepunkt sich verschiebt, kannst du sie dir vergegenwärtigen. Sie ist wie ein Phantom für dich, und auch du bist eines für sie. Du hast sie einmal gesehen, während du bei normalem Bewußtsein warst, aber sie hat dich niemals in ihrem normalen Bewußtseinszustand gesehen. Für sie bist du ebenso eine fiktive Figur, wie sie es für dich ist. Mit dem Unterschied, daß du vielleicht eines Tages erwachen und alles dies integrieren wirst. Du wirst vielleicht Zeit haben, es zu tun. Sie aber nicht. Ihre Zeit hier ist kurz.«
    Ich wollte gegen eine so furchtbare Ungerechtigkeit protestieren. Im Geiste legte ich mir ein ganzes Trommelfeuer von Einwänden zurecht, aber ich sprach keinen aus. Don Juan lächelte strahlend. Seine Augen leuchteten vor schierer Freude und Boshaftigkeit. Ich hatte das Gefühl, als warte er geradezu auf meine Vorwürfe und wisse bereits, was ich sagen wollte, und dieses Gefühl verschloß mir den Mund; oder vielmehr, ich konnte nichts sagen, weil mein Montagepunkt wieder von selbst in Bewegung geraten war. Und dann wußte ich, daß die Nagual-Frau nicht zu bemitleiden sei, weil sie keine Zeit hatte, und auch ich keinen Grund zu frohlocken hätte, weil ich noch Zeit hatte. Don Juan las meine Gedanken wie ein Buch. Er drängte mich, meine Erkenntnis zu Ende zu denken und den Grund auszusprechen, warum ich weder bemitleiden noch frohlocken mochte. Einen Augenblick lang glaubte ich zu wissen, warum. Aber dann verlor ich den Faden.
    »Das Gefühl, Zeit zu haben, ist gleich erregend wie das Gefühl, keine zu haben«, sagte er. »Alles ist ein und dasselbe.« »Traurig zu sein, ist nicht dasselbe wie zu bemitleiden«, sagte ich. »Und ich bin furchtbar traurig.«
    »Wen kümmert die Traurigkeit?« sagte er. »Denk nur an die Wunder; das Wunder ist das einzige, worauf es ankommt. Wir sind lebende Wesen; wir müssen sterben und unser Bewußtsein aufgeben. Aber wenn wir nur ein Quentchen davon verändern könnten - welche Wunder müßten uns da erwarten! Welche Wunder!«

18. Die Barriere der Wahrnehmung durchbrechen
    Am Spätnachmittag, noch immer in Oaxaca, schlenderten Don Juan und ich gemächlich um die Plaza. Als wir uns seiner Lieblingsbank näherten, erhoben sich die Leute, die dort saßen, und gingen fort. Wir eilten hin und setzten uns. »Nun kommen wir zum Ende meiner Erklärung über das Bewußtsein«, sagte er. »Und heute wirst du allein eine andere Welt zusammensetzen und alle Zweifel für immer hinter dir lassen.
    Es darf kein Mißverständnis geben über das, was du tun wirst. Aus der Perspektive gesteigerter Bewußtheit wirst du heute deinen Montagepunkt in Bewegung setzen, und von einem Moment auf den anderen wirst du die Emanationen einer anderen Welt ausrichten.
    Genaro und ich werden dich in wenigen Tagen auf einem Berggipfel wiedersehen, und du wirst dasselbe tun, aber dann mit dem Handikap normaler Bewußtheit. Du wirst, von einem Moment auf den anderen, die Emanationen einer anderen Welt ausrichten müssen; wenn du es nicht tust, wirst du den Tod eines Durchschnittsmenschen sterben, der in einen Abgrund stürzt.« Er spielte auf eine Tat an, die er mich zum Abschluß seiner Lehren für die rechte Seite ausführen lassen wollte: einen Sprung von einem Berggipfel in einen Abgrund.
    Der
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