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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
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Montagepunkt aus dieser Position verdrängt, dann höre die Welt auf, das zu sein, was sie für uns sei.
    Eine Verschiebung des Montagepunktes über die Mittellinie des menschlichen Kokon hinaus, stellte Don Juan fest, lasse die ganze Welt, wie wir sie kennen, im Handumdrehn aus unserem Blick verschwinden, ganz als wäre sie ausgelöscht - denn die Stabilität, die Materialität, die unserer wahrnehmbaren Welt anzuhaften scheine, sei nur die Kraft der Ausrichtung. Aufgrund der Fixierung des Montagepunktes an einen bestimmten Platz würden routinemäßig bestimmte Emanationen ausgerichtet. Mehr habe es nicht auf sich mit unserer Welt.
    »Nicht die Stabilität der Welt ist ein Trugbild« fuhr er fort. »Das Trugbild ist die Fixierung des Montagepunktes an eine bestimmte Stelle. Wenn der Seher seinen Montagepunkt verschiebt, hat er nicht eine Illusion vor sich, sondern eine andere Welt. Diese neue Welt ist so wirklich wie die unsere, die wir täglich vor Augen haben. Doch die neue Fixierung des Montagepunktes, die diese neue Welt hervorbringt, ist ebenso Trugbild wie die alte Fixierung.
    Sieh mal dich, zum Beispiel. Du bist jetzt in einem Zustand gesteigerter Bewußtheit. Alles, was du in solch einem Zustand vermagst, ist keine Illusion; es ist so wirklich wie die Welt, der du morgen in deinem alltäglichen Leben begegnen wirst, und doch wird morgen die Welt, die du jetzt vor dir hast, nicht existieren. Sie existiert nur, wenn dein Montagepunkt sich genau an die Stelle bewegt, an der du jetzt bist.«
    Die eine Aufgabe, sagte er, die dem Krieger noch bleibe, nachdem er seine Ausbildung abgeschlossen habe, sei die Integration. Im Lauf ihrer Ausbildung müßten Krieger, besonders Nagual-Männer, ihren Montagepunkt an so viele Stellen wie möglich verschieben. Ich zum Beispiel, sagte er, hätte den meinen in zahllose Positionen verschoben, die ich eines Tages zu einem zusammenhängenden Ganzen integrieren müsse.
    »Würdest du zum Beispiel deinen Montagepunkt in eine bestimmte Position verschieben, dann könntest du dich erinnern, wer diese Dame ist«, fuhr er mit seltsamem Lächeln fort. »Dein Montagepunkt ist Hunderte von Malen an dieser Stelle gewesen. Es sollte dir ein leichtes sein, ihn zu integrieren.« Als ob mein Gedächtnis auf seinen Vorschlag reagierte, stellten sich mir vage Erinnerungen ein, in der Art von Gefühlen. Da war ein Gefühl grenzenloser Zuneigung, das mich anzuziehen schien; ein angenehm weiches Aroma erfüllte die Luft, als sei jemand von hinten an mich herangetreten und hülle mich in diesen Duft ein. Ich drehte mich sogar um. Und dann erinnerte ich mich. Sie war Carol, die Nagual-Frau. Ich war erst am Tag zuvor mit ihr zusammengewesen. Wie hatte ich sie vergessen können? Ich erlebte einen unbeschreiblichen Augenblick, in dem mir war, als durchströmten mich alle Gefühle meines seelischen Repertoires. War es möglich, so fragte ich mich, daß ich in ihrem Haus in Tucson, Arizona, aufgewacht war - zweitausend Meilen entfernt? Und sind alle diese Momente gesteigerter Bewußtheit so isoliert, daß man sich nachher nicht mehr daran erinnern kann? Don Juan kam an meine Seite und legte mir den Arm um die Schultern. Er sagte, er wisse genau, wie mir zumute sei. Sein Wohltäter habe ihn eine ähnliche Erfahrung durchmachen lassen. Und er wolle nun versuchen, mit mir dasselbe zu tun, was sein Wohltäter mit ihm getan hatte: mit Worten besänftigen. Er selbst sei damals dankbar gewesen für das Bemühen seines Wohltäters, aber er bezweifle jetzt, wie damals, ob es möglich sei, jemanden zu besänftigen, der im Begriff stünde, die Reise des Traum-Körpers zu erkennen.
    Jetzt gab es keine Zweifel mehr in meinem Fühlen und Denken. Irgend etwas in mir war die Distanz zwischen den Orten Oaxaca in Mexiko und Tucson in Arizona gereist. Ich empfand eine sonderbare Erleichterung, als sei ich endlich von einer Schuld geläutert.
    In all den Jahren, die ich mit Don Juan verbrachte, hatte ich immer wieder Lücken in der Kontinuität meines Gedächtnisses festgestellt. Daß ich an jenem Tag mit ihm in Tucson gewesen sein sollte, war wohl so eine Lücke. Ich erinnerte mich noch, daß es mir nicht einfallen wollte, wie ich nach Tucson gelangt sei. Ich maß dem aber keine große Bedeutung bei. Ich glaubte, die Erinnerungslücke sei eine Folge meiner Aktivitäten mit Don Juan. Er war immer darauf bedacht, nicht meinen rationalen Argwohn zu wecken, solange ich mich in normalem Bewußtseinszustand befand, doch wenn
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