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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
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Zweifel mehr gibt. Es gibt zwei solche Positionen für den Krieger. In der einen hast du keine Zweifel mehr, weil du alles weißt; in der anderen, nämlich im normalen Bewußtseinszustand, hast du keine Zweifel, weil du nichts weißt. Damals war es für dich noch zu früh, um zu erfahren, was wirklich geschehen war. Jetzt aber, glaube ich, ist der richtige Zeitpunkt. Als du vorhin die Straße entlang schautest, warst du im Begriff herauszufinden, wo dein Traum-Körper damals gewesen ist. An diesem Tag bist du eine gewaltige Entfernung gereist.« Don Juan musterte mich mit einer Mischung aus Freude und Traurigkeit. Ich mußte mich bemühen, die sonderbare Erregung zu beherrschen, die ich empfand. Ich spürte, daß etwas für mich unerhört Wichtiges in meinen Erinnerungen verloren lag - oder, wie Don Juan es ausgedrückt hätte, in irgendwelchen ungenutzten Emanationen, die irgendwann einmal ausgerichtet worden waren.
    Mein Bemühen, ruhig zu bleiben, erwies sich als ganz falsch.
    Plötzlich fingen meine Knie an zu schlottern, und Nervenkrämpfe tobten durch die Körpermitte. Ich stammelte, unfähig, irgendwelche Fragen zu artikulieren. Ich mußte schlucken und tief Luft holen, bevor ich meine Ruhe wiederfand. »Vorhin, als wir uns hinsetzten, um miteinander zu sprechen, da sagte ich, daß keine rationalen Erwägungen das Tun eines Sehers beeinträchtigen dürfen«, fuhr er in strengem Ton fort. »Ich wußte, du müßtest deine Rationalität ablegen, um dir ins Gedächtnis zu rufen, was du damals getan hast. Aber dies mußt du auf der Bewußtseinsebene tun, auf der du dich jetzt eben befindest.« Und er erklärte mir, ich müsse verstehen, daß Rationalität nur ein Zustand der Ausrichtung sei, lediglich das Resultat einer Position des Montagepunktes. Dies müsse ich verstehen, betonte er, solange ich mich, wie eben jetzt, in einem Zustand großer Verletzlichkeit befände. Es zu verstehen, nachdem mein Montagepunkt eine Position erreicht hätte, wo es keine Zweifel mehr gibt, sei allerdings sinnlos, weil dergleichen Erkenntnisse in dieser Position ganz normal seien. Auch sei es sinnlos, es in normalem Bewußtseinszustand verstehen zu wollen. In diesem Zustand kämen solche Erkenntnisse in Form von Gefühlsausbrüchen, gültig nur so lange, wie das Gefühl anhalte.
    »Ich sagte vorhin, du bist an diesem Tag eine weite Entfernung gereist«, sagte er ruhig. »Und das sagte ich, weil ich es weiß. Ich war dabei. Erinnerst du dich?«
    Ich schwitzte übermäßig vor Nervosität und Aufregung. »Du bist gereist, denn du erwachtest in einer weit entfernten Traum-Position«, fuhr er fort. »Als Genaro dich hier, von dieser Bank, über den Platz zu sich zog, da bahnte er deinem Montagepunkt einen Weg vom Normalbewußtsein hinüber zu jener Position, wo der Traum-Körper sichtbar wird. Dein Traum-Körper flog tatsächlich in einem einzigen Augenblick eine unglaubliche Entfernung. Dies aber ist nicht das Entscheidende. Das Geheimnis liegt in der Traum-Position. Wenn sie stark genug ist, um dich anzuziehen, kannst du bis an die Enden dieser Welt reisen - oder darüber hinaus, wie die alten Seher es taten. Sie verschwanden aus dieser Welt, weil sie in einer Traum-Position jenseits der Grenzen des Bekannten erwachten. Deine Traum-Position an jenem Tag lag in dieser Welt, aber in ziemlicher Entfernung von Oaxaca.«
    »Wie geschieht eine solche Reise?« fragte ich. »Wie das geschieht, kann niemand wissen«, sagte er. »Starke Emotionen, unbeugsame Absicht oder starkes Interesse können als Führer dienen. Dann wird der Montagepunkt kräftig in der Traum-Position fixiert - lange genug, um alle Emanationen im Innern des Kokon dort hinüberzuziehen.« Und dann erzählte Don Juan, er habe mir in den Jahren unserer Verbindung unzählige Male geholfen zu sehen, ob in normalem Bewußtseinszustand oder in Zuständen gesteigerter Bewußtheit; ich hätte dabei unzählige Dinge gesehen, die ich erst jetzt in richtigerem Zusammenhang begreifen könne. Dieser Zusammenhang sei kein logischer oder rationaler, aber gleichwohl werde er, auf seltsame Weise, all das klären, was Don Juan mit mir getan habe und auch all das, was ich in den Jahren mit ihm gesehen hätte. Jetzt aber, sagte er, bedürfe ich noch einer letzten Klärung: der zusammenhängenden, aber irrationalen Erkenntnis, daß alles in dieser Welt, wie wir sie wahrzunehmen gelernt hätten, unauflöslich an jene Position gebunden sei, wo der Montagepunkt seinen Sitz habe. Werde der
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