Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste
Autoren: Karen Winter
Vom Netzwerk:
war sie sich lächerlich vorgekommen. Lächerlich und peinlich und albern, irgendwie wie ein dicker dummer Kloß, der sich im Karneval unpassenderweise als Prinzessin verkleidet.
    Ruth seufzte und strich halb zärtlich, halb verlegen über das grün-weiße Kleid. Skeptisch betrachtete sie die spitzen weißen Schuhe mit dem bleistiftdünnen Absatz. Sie zwängte sich schicksalsergeben hinein, und wie erwartet begannen die neuen Schuhe sofort zu drücken. Ruth seufzte erneut, betrachtete sich widerwillig im Spiegel und zerrte so lange an dem Kleid, bis es zumindest ihre Knie bedeckte. Dann band sie ihr wildes Haar mit einem Gummiband am Hinterkopf zusammen, warf kurz entschlossen ein paar Sachen in ihren abgeschabten Lederrucksack und stöckelte vorsichtig die Treppe hinab.
    Unten in der Halle wartete bereits Rose. Ganz Dame von Welt trug sie ein modisches graues Twinset zu einem ebenfalls grauen Faltenrock, dazu eine Perlenkette und Perlenohrklipps. Unter dem Arm hielt sie eine winzige Tasche.
    »Du willst doch nicht etwa den Rucksack mitnehmen?«, fragte Rose empört.
    »Was sonst? Ich muss meine Schlüssel unterbringen, dazu Taschentücher, richtige Schuhe und meine Windjacke. Niemals bekomme ich alles in so ein Ding wie das, das du unter dem Arm hältst. Da passt ja nicht mal ein Flaschenöffner rein.«
    Rose verdrehte die Augen, verzichtete aber auf eine Antwort. Stattdessen folgte sie ihrer Tochter schweigend zum Pick-up, der vor dem Haus bereitstand.
    Ruth warf einen prüfenden Blick auf die Ladefläche des Wagens und nickte. Alles in Ordnung: Das Ersatzrad für den Dodge 100 Sweptside lag griffbereit, daneben der Wagenheber; die Kiste mit den Ersatzteilen stand ordentlich neben dem Werkzeugkasten, hinter ihm frisch aufgefüllte Benzin- und Wasserkanister. Ruth wusste nur allzu gut, dass ihr Überleben davon abhängen könnte, ob sie für den Notfall alles dabeihatten. Zu oft hatte sie sich Schauermärchen über schlecht vorbereitete Reisende anhören müssen, die inmitten der Wüste eine Panne gehabt hatten und schließlich jämmerlich verdurstet waren.
    Sie setzte sich rechts auf die Fahrerseite, während ihre Mutter links auf dem Beifahrersitz Platz nahm, startete den Motor und bog auf die Pad in Richtung Gobabis ein. Etwa zwei Stunden, so schätzte Ruth, würden sie auf der unebenen Schotterstraße für die Fahrt in die vierzig Meilen entfernte Stadt brauchen. Am liebsten hätte sie das Radio laut aufgedreht und mitgesungen, um ihre schlechte Laune zu heben, doch Rose duldete keine Musik im Auto. So betrachtete Ruth schweigend das Buschland, das sich zu beiden Seiten der Pad erstreckte. Nur wenige Wüstenpflanzen bedeckten die Fläche aus Sand und Steinen, eine einzelne Schirmakazie streckte ihr Dach über zwei Oryxantilopen, die dösend auf den Sonnenuntergang warteten.
    Ruth liebte dieses Land. Sie liebte die Sonne, die im Sommer die Luft aufheizte, und besonders liebte sie die Weite, den schier unerreichbaren Horizont. Weite, Licht, Stille. Mehr brauchte sie nicht zum Leben.
    Sie nahm eine Hand vom Steuer, berührte ihre Mutter am Arm. »Sieh, dahinten sind Springböcke. Leben wir hier nicht wie im Paradies?«
    Rose verzog den Mund, doch sie behielt ihre Ansicht für sich, um ihnen beiden den Tag nicht zu verderben.
    »Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es so weit: Der Farmerwettbewerb des Jahres 1959 ist eröffnet!«
    Ein Tusch erklang, und Ruth war versucht, sich die Ohren zuzuhalten. Vor ihr dröhnte aus einem Lautsprecher Musik, über ihr schwebte die Megaphonstimme des Kommentators, neben ihr lachte jemand, hinter ihr wurde gesprochen, und ein Stück weiter fluchte ein Mann aus vollem Hals. Ruth stand inmitten der Farmer, wurde angerempelt, angestoßen, musste vollen Biergläsern ausweichen, stieg über spielende Kinder, grüßte und erwiderte Grüße. Jemand hieb ihr auf die Schulter, ein anderer zupfte an ihrem Kleid, ein Dritter trat ihr auf die Zehen. Ein Duftgemisch aus Schafsmist, Kuhmilch und Pferdeschweiß umgab sie, dazwischen waberten die Ausdünstungen der zahlreichen Besucher, Bier und Zigarettenrauch.
    Ich werde Kopfschmerzen bekommen , dachte Ruth, doch obwohl sie die Stille so liebte, genoss sie auch den Trubel um sich herum. Voller Eifer verfolgte sie die Wettkämpfe und betrachtete die Pferde der benachbarten Farmer. Vor allem ein schwarzer Hengst hatte es ihr angetan. Er hörte auf den Namen Gewitter und war so wild, dass es nur erfahrenen Reitern gelang, ihn zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher