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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: William Horwood
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auf die wenigen verbliebenen Sterne und spähte schließlich zwischen den Bäumen hindurch zu der schwarzen Wand des White Horse Hill mit dem jetzt nicht sichtbaren Pferd. Dann hob er Judith in die Höhe und bat sie alle, von nun an bis ans Ende der Zeit wohlwollend über das Kind zu wachen. Auch ohne dass man es ihm sagen musste, wusste er, dass er nur tat, was Eltern, Menschen wie Hydden, in all den Jahrtausenden sterblichen Lebens immer taten, wenn sie auf sich allein gestellt waren.
    »Nehmt sie an«, sagte er, »leistet ihr Beistand, wenn wir es nicht mehr können, führt sie, wie ihr uns geführt habt, schenkt ihr die Liebe, die ihr auch uns geschenkt habt.«
    Bei diesen Worten kam Ruhe über ihn, und auch Judith und Katherine regten sich nicht.
    Doch der Fuchs setzte sich in Bewegung und trat ins Freie. Sein Fell glänzte silbern im Dämmerlicht.
    Er tat noch einen Schritt vorwärts, schnüffelte in die Richtung, in der Jack mit der empor gehobenen Judith stand. Dann noch einen Schritt und noch einen ...
    Schließlich war der Fuchs bei ihm und beschnupperte ohne jede Furcht vor den nahen Menschen die Plazenta.
    Er bellte, er leckte, dann schnappte er die Beute und rannte damit zurück zum Rand des Henges, blieb aber im Licht.
    Jack nahm Judith wieder herunter, drehte sich um und sah zu, wie der Fuchs das angenommene Opfer fraß.
    Jack sprach leise zu seinem Kind.
    Der Fuchs fraß im Namen der Erde.
    Als er fertig war, blickte er ein letztes Mal zu Jack, fuhr herum und war im nächsten Augenblick verschwunden.
    »Jack ...«
    Katherine brauchte Hilfe.
    Er ging zu ihr, legte ihr das Kind zwischen die Brüste und deckte sie warm zu. Dann drangen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durch die Bäume und beschienen sie alle. Judith erwachte.
    »Ich werde das Handtuch wegnehmen und meine Jacke und ein sauberes ... ein sauberes ...«
    Plötzlich schrie Judith, und sie schrie lauter und schriller, als es ein nur wenige Stunden altes Kind können sollte.
    Katherine versuchte sie zu stillen, doch sie wollte nicht. Ihr brüllender kleiner Mund verschmähte die Brust und drehte sich weg.
    Jack tat, was er konnte, sparte nicht mit Wasser, wühlte nach den sauberen Kleidern, die Katherine in Plastiksäcke verpackt hatte.
    »Mir wird kalt.«
    Das Schreien hielt an.
    »Jack ...«
    »Sie ist bestimmt hungrig.«
    Doch das Schreien klang jammervoll und schien aus Schmerzen geboren, nicht aus Hunger. Sie verweigerte die Brust und schrie weiter. Sogar noch lauter, als Jack sie wieder auf den Arm nahm, fest in ein Handtuch und seine Jacke wickelte und ein paar Schritte mit ihr ging.
    Katherine war erschöpft, und ihre Kleider waren noch so schmutzig wie sie selbst. Auch an Judiths Kopf und Armen klebten noch Schleim und getrocknetes Blut.
    »Was sollen wir tun?«, fragte er Katherine, denn Jack wusste es nicht.
    »Am besten, du gehst zum Haus«, antwortete sie. »Ich glaube, wir brauchen Hilfe.«
    Die brauchten sie.
    Katherine fror, und ihr Kind schrie weiter. Aber nun hatte es die Händchen zu Fäusten geballt und die Augen fest zusammengekniffen ... und das Schreien nahm einen so leidvollen Klang an, dass sie wussten, hier lag etwas fürchterlich im Argen.

4
ENTDECKUNG
    A ls es rings um Bedwyn Stort noch stiller wurde, ereignete sich eine der Verschiebungen in der Zeit, die bei Jahreszeitwechseln oft beobachtet werden.
    Er hatte den Beacon Hill kurz nach Einbruch der Dunkelheit, also vor einer oder zwei Stunden, verlassen, doch seine Uhr zeigte bereits Mitternacht. Die Regenwolken über ihm jagten nach Norden und Süden, Osten und Westen, als hätte sich die Zeit beschleunigt. Dann legten sie sich um den Horizont wie ein Lichthof, in dessen Mitte sich das Universum in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit offenbarte: das tiefe, unergründliche Schwarz des Alls, darin eingebettet Millionen und Abermillionen Sterne, der aufgehende helle Mond. Die kalte Luft umschlang seine Hände und hob sie zu einer Geste der Ehrfurcht und des Willkommens über seinen Kopf.
    Der Boden erbebte unter seinen Füßen. Er vernahm wieder das Brausen der nahenden Welle und ahnte, dass sein Leben mehr denn je in Gefahr war. Doch er wusste auch, dass er jetzt Ruhe bewahren musste. Jetzt war es nötig standhaft auszuharren und darauf zu vertrauen, diese Prüfung mit Mut und Willenskraft bestehen zu können.
    Er erkannte den Ort wieder. Es war derselbe, an dem er als elfjähriger Knabe zum ersten Mal Imbolc, der Friedensweberin, begegnet war. Und wie
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