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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: William Horwood
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damals wurde sein Körper von einer Kälte durchdrungen, die ihn auszehrte und altern ließ. Seine Knie gaben nach, und er spürte, wie das Leben von ihm wich.
    Bei ihrem letzten Erscheinen hatte Imbolc fast am Ende ihrer großen Reise durch die Jahrhunderte gestanden. Auf dieser Reise war das Ende jeder Jahreszeit ihres Geistdaseins durch den Verlust des Steins dieser Jahreszeit markiert worden, bis sie auch den letzten, den des Winters, verloren hatte.
    Seitdem hatte die Friedensweberin von geborgter Zeit gelebt und auf das Kommen der Schildmaid gewartet.
    Stort spürte die eisige Kälte und begriff, dass seine Vernichtung nahe war. Er konnte nur hoffen, dass Imbolc wiederkommen würde, dass ihre Reise endlich vorüber war und sie nun ihren Platz an Beornamunds Seite einnehmen durfte.
    Er versuchte zu sprechen, konnte aber nicht.
    Er versuchte die Arme weiter dem strahlenden Universum entgegenzurecken, konnte aber nicht.
    Er versuchte die Augen offen zu halten für die Welt, die er liebte, doch er spürte, wie sie ihm zufielen.
    Helft mir, flüsterte er den Göttern zu.
    Helft mir!, rief er dem Spiegel aller Dinge entgegen, in dem Sterbliche ihr kurzes Leben leben.
    Hilf mir, flehte er zu Imbolc in der Stille seines vergehenden Geistes.
    »Hilf mir«, sagte Bedwyn Stort.
    Die Stille floh.
    Die Wasserwalze tobte den Hügel herauf und türmte sich so hoch auf, dass sie die Lichter der schlafenden Stadt und die gestirnten Wolken am fernen Horizont verdunkelte.
    »Hilf mir«, flüsterte er ein letztes Mal, darauf gefasst, dass sein Körper und sein Leben auseinandergerissen und für immer in den Fluten verschwinden würden, die ihn gleich erreichen mussten.
    In diesem Augenblick war sie plötzlich da, stand zwischen ihm und den todbringenden dunklen Wassern, eine Frau so alt, als wäre sie ein Teil der Erde und des Universums, eine Greisin, die Beine dünne Stecken, die Hände ausgebleichte Zweige, die Haare weiße Spinnenfäden, der Körper so gebeugt und hinfällig, dass der leiseste Lufthauch ihn zu zerbrechen und in alle Winde zu zerstreuen drohte.
    Imbolc war am Ende ihrer großen, einsamen Reise durch die Jahre angelangt, zu der die Götter sie ausgesandt hatten, um als Friedensweberin auf der Erde zu wirken, mit dem weißen Pferd als einzigem Begleiter. Sie hatte die Jahreszeiten ihres Lebens abgelebt und sie im Laufe der Jahrhunderte in der Gestalt von Edelsteinen verloren.
    Auch das Pferd war nun fort, Beornamund nirgends zu sehen, nur ein auf den Knien liegender Sterblicher, dessen Namen sie kannteund auf dem, wie sie seit zwölf Jahren wusste, die Hoffnungen der Erde und des Universums ruhten.
    Sie hatte seinen schwachen Ruf gehört und war zu ihm geeilt. Aus seinem Vertrauen schöpfte sie ein letztes Mal Kraft. Sie zeigte keine Furcht vor der Welle, die den Hügel herauf auf sie zukam.
    Sie ging zu Stort und streckte ihm die alte Hand entgegen. »Steh auf und stell dich neben mich, dann kann dir nichts geschehen und du wirst sehen, was du sehen musst.«
    Stort gehorchte.
    »Nimm meine Hand«, sagte sie, und er tat es ängstlich, denn er fürchtete ihre Berührung. Er war beinahe gestorben, als sie ihn vor zwölf Jahren berührt hatte.
    Sie lächelte. »Keine Angst, Bedwyn Stort, du hast es einmal überlebt und dich seitdem als überaus würdig erwiesen. Aus meiner Berührung soll dir kein Schaden erwachsen, nur Liebe.«
    So hielt er ihre Hand und fand darin sonderbaren Trost.
    »Jetzt hör mir gut zu«, fuhr Imbolc fort. »Meine Schwester ist heute Nacht geboren worden, und das bedeutet, dass meine Zeit abgelaufen ist. Ich habe noch die Kraft für eine letzte Aufgabe, doch dazu brauche ich deine Hilfe! Halte dich fest! «
    Ihre Stimme ging in plötzlichem Getöse unter. Wasser brach über sie herein, unter ihren Füßen riss die Erde auf, doch sie selbst blieben davon unberührt.
    Dann tobten die Fluten weiter den Hügel hinauf und fegten das Flussbett leer.
    Einen Augenblick lang war es wieder still bis auf das gedämpfte Tosen des Wassers, das oben anlangte und an der Quelle brodelte, ehe es ... ehe es ...
    »Es kommt wieder herunter!«, sagte er.
    Jetzt hätte er endlich um sein Leben rennen können, doch da bemerkte er etwas im Schlamm des leeren Flussbetts. Ein schwaches Schimmern, den matten Schein eines verdeckten Lichts.
    Er ging zum Flussbett, und Imbolc mit ihm.
    »Es ist ein großer Felsblock und darunter liegt etwas.«
    »Nein«, sagte Imbolc, »das ist Beornamunds alter Schmelzofen. Er ist für
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