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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder
Autoren: Lisa Moos
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Schritte, was zum einen an dem starken Gefälle der Straße lag, zum anderen bekam ich Herzklopfen über den Mut meiner nächsten Absichten.
    Wie konnte ich mich bemerkbar machen, ohne dass der Alte loskeifte? So schlich ich von oben an die Schafsstallbaracke heran, von der aus man durch zwei Türen in die Küche gelangen konnte. Ich hatte Glück, denn Marianne wurschtelte draußen herum und sah mich sogleich. »Hallo«, rief sie laut, »was machst du schon hier?« Erleichtert sie zu sehen, entspannte ich mich sogleich und antwortete ihr: »Durfte heute zu Hause bleiben. Ich dachte, du hast Lust auf ein Stück selbst gebackenen Geburtstagskuchen«, und hielt ihr statt weiteren Erklärungen die Büchse mit der Apfeltorte hin. Ich grinste sie an und fühlte mich weniger allein an diesem Morgen. Ihr zu sagen, warum ich wirklich schon da war, ersparte ich mir, denn der Gedanke, mit ihr »irgendwie gleich« zu sein, stieß mich völlig ab. »Hm«, sie kaute bedächtig an ihren rosa Nägeln. »Ich kann aber auf keinen Fall jetzt schon weg, komm doch einfach mit hinein. Aber sei bloß leise, mein Alter pennt und soll nicht wach werden.«
    Ich folgte ihr, so leise es mir möglich war, ins Haus. Fasziniert und erschrocken schaute ich mich in den heruntergekommenen Räumen um. Die Tapete, soweit sie überhaupt vorhanden war, hing eingerollt vor Nässe oder Schmutz an den Wänden herunter. Die Möbel der Küche waren in erschreckend schlechtem Zustand, sogar die Luft roch verfault.
    Ich ließ die Tür hinter mir offen und war dankbar für jeden kleinen Luftzug, der ins Haus hineinblies. »Setz dich«, sagte sie munter. Ihre Umgebung schien ihr gar nichts auszumachen, und schnell hatte sie frisch gebrühten Kaffee gezaubert. Sie stellte ihn zusammen mit zwei Kaffeebechern auf den Tisch. In diesem Moment bewunderte ich sie, bewunderte sie für ihre Gleichgültigkeit, in solch einem Schweinestall zu leben und dabei so ruhig und ausgeglichen, richtig fröhlich zu sein. Sie plapperte vor sich hin, erzählte mir von »ihrem Alten«, der ihr tierisch auf den Sack ging, und dass sie die Tage zähle, um endlich abzuhauen.
    Sie erwähnte einen neuen Typen, den sie am Vortag in der Bahnhofsgaststätte kennen gelernt hatte. Dann zeigte sie mir eine neue Bluse, die wohl das Dankeschön für irgendeinen Fick war.
    »Hast du Kippen?« Sie schaute erwartungsvoll in meine Richtung. »Nö«, antwortete ich, nun selbst etwas erstaunt darüber, heute keine gekauft zu haben. »Aber ich habe Geld!«, verkündete ich und kramte den Schein von der Geburtstagskarte aus meiner Hosentasche. »Ich hol eben welche«, sprach sie, schnappte sich den Schein, und weg war sie. Auf halbem Weg zur Tür drehte sie sich noch einmal um und lächelte. Ihr Vater würde tief und fest schlafen, und sie wäre sofort wieder da. Steif und unbeweglich saß ich auf dem wackligen Stuhl am Küchentisch vom alten Heinz und wagte kaum zu atmen. Ich ärgerte mich über Mariannes schnellen Abgang und dachte über die unzähligen Male nach, die wir Kinder schon kreischend vorm Gebrüll des alten Heinz davongestoben waren. Es verging nur ein Moment, bevor ein ständiges Klopfen von oben mich aus meinen Gedanken riss.
    »Marianne«, brüllte er von oben herunter, und mir brach der Schweiß aus. Der Tonfall seiner Stimme mit den lang gezogenen Selbstlauten erinnerte mich stark an das Jammern der Kuh unseres Nachbarn kurz vor dem Melken. Es war grauenhaft laut, schrill und anhaltend, er brüllte und brüllte und schlug mit irgendetwas auf dem Boden herum. Genau über der Küchendecke.
    Ich sprang auf, schaute aus dem Fenster. Außer dem kleinen, nur teilweise erhaltenen Zaun, der rund ums Haus verlief, konnte ich nur ein Stück Straße sehen. Keine Marianne! Ich überlegte, das Haus durch den Hintereingang zu verlassen, aber ich war wie gelähmt.
    Das Geschrei verstummte nicht, also nahm ich meinen Mut zusammen, ging zum Türrahmen und schaute die Holztreppe hinauf. Auch hier war das Geländer nur teilweise noch intakt, einzelne Streben waren zerbrochen oder fehlten gänzlich. Das Holz musste ehemals farbig lackiert gewesen sein, auf den Stufen fanden sich Splitter von abgeplatztem altem Lack.
    »Sie kommt gleich zurück«, rief ich nach oben. »Was? Wer ist da?« Ich räusperte mich und wiederholte diesmal lauter: »Sie kommt gleich zurück, ist eben etwas holen, mein Name ist Lisa, und ich warte hier auf sie.« Er antwortete mir nicht, aber an den Geräuschen konnte ich hören, dass
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