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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder
Autoren: Lisa Moos
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Mund pinkfarben wie die Fingernägel. Überhaupt malte Marianne mit Vorliebe an sich herum, sie schminkte sich leidenschaftlich gern, und meist schaffte sie es tatsächlich, ihre vorhandenen Vorzüge zu unterstreichen.
    Körperlich war sie üppig ausgestattet, mit allem, was eine Frau weiblich macht. Marianne hatte zu dieser Zeit schon eine Menge Erfahrungen mit Männern jenseits der dreißig und zwei Abtreibungen hinter sich. Sie machte wenigstens mir gegenüber kein Geheimnis aus ihren Eroberungen, und im Stillen bewunderte ich sie dafür, dass sie in meinen Augen unabhängig und unter Erwachsenen ihr eigenes Leben leben konnte. Sogar mit eigenem Geld, wenn auch vom Amt: Sie bekam Waisenrente.
    Tatsächlich aber war es so, dass kein Mann länger als ein paar Stunden bei ihr blieb, nachdem er sie gevögelt hatte. Marianne war die typische Idiotin, aus asozialen Verhältnissen, die mit großen, grifffesten Brüsten und der bei Männern begehrten, willigen »mit Hilfe von Niveacreme geht er auch direkt in den Arsch«-Einstellung ausgestattet war. Oft trieb sie sich tagelang in der nächsten Stadt herum und schlief mal hier und mal dort. Jedes Mal überzeugt davon, dass es »so eine richtige Liebe« war.
    Arme Marianne, mit 25 hatte sie bereits vier Kinder, jeweils von unterschiedlichen Typen, und keines hat das Jugendamt ihr gelassen. Als ich sie Jahre später wiedertraf, war sie starke Alkoholikerin geworden, ein Sozialfall mit Lebensmittelgutscheinen vom Amt. Sie hatte kariesverseuchte Zähne hinter den längst nicht mehr geschminkten Lippen. Ihre Begleiter, stets aus Berlin oder Hamburg, waren allesamt Strafentlassene oder irgendwie »auf Urlaub draußen«, immer auffallend tätowierte Schnapstrinker, die jedes Mal zuschlugen, wenn der Alk zur Neige ging oder »die Alte nicht richtig parierte«.
    Arme Marianne, selbst ihr Stupsnäschen, das mit den Sommersprossen, wurde eines Tages platt geschlagen von »so einer richtigen Liebe«. Aber verlassen hat sie ihn deswegen nicht. »Schließlich«, so sagte sie mir später, »hatte er sich dafür entschuldigt« und wollte mit ihr beim Jugendamt dafür kämpfen, ihre Kinder zu bekommen. Arme, dumme Marianne!
    »Ich will in die Stadt! Morgen hat mein Alter Geburtstag«, antwortete sie mir und spielte an dem Riemen ihres billigen Plastikhandtäschchens herum. »Kaufst du ein Geschenk?« – »Bist du irre? Aber da gibt es extra Kohle für, und die hol ich jetzt ab«, antwortete sie lachend. Der Bus kam und wir unterhielten uns eine Weile über den Gang hinweg. Als ich ausstieg, hob ich meine Hand in ihre Richtung zum Gruß und lächelte sie an, wir hatten uns für morgen Abend vor ihrem Haus verabredet. Wir wollten gemeinsam in die Stadt fahren, denn am nächsten Tag war der 21., und es würde auch mein Geburtstag sein.
    Als ich erwachte, war es schon nach elf Uhr. Ich lag mit verquollenen Augen im Bett, hielt sie nur mühsam offen und musste sie immer wieder zusammenkneifen, um die Uhrzeit auf meinem Digitalwecker richtig ablesen zu können. Wieso war ich noch im Bett, wieso hatte mich niemand geweckt, wahrscheinlich hatten alle verschlafen? Ich fing an zu rufen, aber niemand antwortete. Ich wand mich unter der Decke hervor, raus aus dem Bett und öffnete meine Zimmertür.
    Kein einziges Geräusch war zu hören: »Mama?« Ich schaute um die Ecke, niemand war zu sehen. Ein Blick auf den Küchentisch zeigte mir, dass alle wie gewohnt gefrühstückt hatten, eine Geburtstagstorte war ebenfalls für mich hingestellt worden sowie ein Briefumschlag mit einer Karte ohne Unterschrift und etwas Geld. Sonst nichts.
    Verwundert schlich ich ins Wohnzimmer an den alten Schreibtisch. Meine Mutter hing sehr daran. Sie hatte ihn von ihrer Familie zur Geburt ihres ersten Kindes, meinem Bruder Christoph, bekommen, und er war auch für ihn gedacht. Ich schaute nach unten und sah »Großmutter Rita« beim Wäscheaufhängen. Unwillkürlich zuckte ich zurück, das tat ich immer. Warum, das wusste ich nicht. Ich fühlte mich immer schlecht und aufgeregt, wenn ich »Großmutter« oder »Großvater« irgendwo auf dem Grundstück sah oder ihnen im Treppenhaus begegnete.
    Tatsächlich hatte ich im Laufe der letzten Jahre wieder damit begonnen, sie zu siezen, was mir eine gewisse Distanz verschaffte. Einzig meine Tante, die Richterin geworden war und mittlerweile in der schönen Stadt Hamburg ihren Dienst tat, hatte einige meiner Verhaltensweisen richtig interpretiert. Sie sprach Verdächtigungen in
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