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Das erste der sieben Siegel

Titel: Das erste der sieben Siegel
Autoren: Case John F.
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schaltete sie an. Dann sprang er wieder aus dem Transporter und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das war nicht die Spritze. Es war der Wagen. Er hat das Plastik gesehen und Panik gekriegt.«
    Vaughn zuckte die Achseln. »Egal. Hilf mir, die Frau reinzuschaffen.«
    Der Franzose fasste den Körper der Frau an den Armen, während Vaughn die Füße nahm. Als sie sie hochhoben, warf Vaughn Susannah einen Blick zu. »Du hast gesehen, wie das Licht ausgegangen ist, nicht?«
    Susannah blickte verwirrt. »Welches Licht?«
    »Das Licht in ihren Augen«, sagte Vaughn. »Ihr habt euch beide angesehen, als es mit ihr zu Ende ging.«
    Susannah nickte langsam. Ja, sie hatte es gesehen. Die Augen waren … schlaff geworden. Die beiden Männer hievten die Leiche der Frau in den Laderaum.
    Vaughn drehte sich zu Susannah um und sah sie mitfühlend an. »Ich habe es gesehen«, sagte er. »Ich habe es dir am Gesicht angesehen.«
    »Was?«, fragte Susannah.
    »Wie du reagiert hast. Es war, als ob …« Seine Stimme verlor sich.
    »Was?«, fragte Susannah fast so, als würde Vaughn mit ihr flirten.
    Vaughn überlegte einen Moment, schüttelte den Kopf und lachte. »Es war … kompliziert«, sagte er. »Es war ungemein kompliziert.« Dann bückte er sich, packte den toten Mann an den Armen und schleifte ihn zum Wagen.
    Susannah konnte es nicht fassen – wie die Füße kleine Furchen in den Boden machten, so vollkommen parallel sahen sie aus, fast wie die Linien auf einem Blatt Papier.

1
    Diamantberge
    26. Januar 1998
    Zuerst hörte er es nicht. Das Geräusch war weit weg und mehrere hundert Meter tiefer, ein fernes Grollen, das mit dem Wind dahinfegte. Kang stapfte langsam den Hang hoch, den Kopf gesenkt, achtete weder auf das Stöhnen des Windes noch auf das Geräusch, das die Böe in ihren Fängen mit sich trug.
    Die Kälte machte ihn ungeschickt. Zweimal war er auf dem Eis ausgerutscht, und zweimal hatte er den Sturz mit den Händen abgefangen, die Finger in den verkrusteten Schnee geschlagen. Mit den Löchern in seinen Handschuhen war das, als würde er zerbrochenes Glas umklammern.
    Trotzdem war er über sich selbst erstaunt, dass er überhaupt so weit gekommen war – und das mitten im Winter. Schließlich war er ein Krüppel. Aber zäh. Zäh, wie es nur Koreaner waren. Zwar waren auch schon andere vor ihm hier langgegangen – er war durch einen gespenstischen Wald geklettert, in dem von Tausenden Kiefern nur noch die Stümpfe übrig waren –, aber sie hatten zwei gesunde Beine gehabt.
    Er hatte dagegen nur noch eins.
    Die meisten Bäume waren vor Jahren gefällt worden, um daraus Feuerholz zu machen. Doch als er höher kam, sah Kang Kiefern, die sozusagen bei lebendigem Leibe geschält worden waren, die Rinde von den Stämmen abgezogen, um etwas Essbares zu haben. Zumindest etwas, was in den Hungerjahren als essbar durchging.
    Das weiche Holz unmittelbar unter der Rinde füllte den Magen, war zwar nur schwer verdaulich, ließ sich aber gut kauen. Das nahm einem den quälenden Hunger – zumindest vorübergehend –, und aus der eigentlichen Rinde konnte man einen schwachen Tee brühen.
    Doch andererseits starben die Bäume, wenn man ihnen die Rinde nahm, und das Land wurde verwundet.
    Es waren in erster Linie die Frauen, die in die Berge gingen, um nach wilden Gräsern, Rinde und Feuerholz zu suchen. Auch Kangs Frau war, bevor die Krankheit sie ebenso dahinraffte wie so viele andere, diesen Hang hinaufgestiegen, ausgerüstet mit derselben Klappsäge, die er nun bei sich hatte, und mit demselben Seil.
    Sie war es, die ihm gesagt hatte, dass er in diese Richtung gehen sollte. Obwohl es ein unglaublich steiler Weg war, hatte er sein Versprechen gehalten und war ihrem Rat gefolgt. Seit ihrem Tod hatte er diesen Marsch ein dutzendmal auf sich genommen und das gesammelte Holz gegen Kräuter, Reis und ein Paar alte Stiefel eingetauscht. Inzwischen kannte er die Berge oberhalb von Tasi-ko so gut wie die Risse in der Decke über seinem Bett.
    Er blieb kurz stehen, um zu verschnaufen, und nahm das über ihm liegende Gelände in Augenschein, überlegte, wo er am besten über die Felsen kletterte, und entschied sich weit im Voraus, wo er bei jedem Schritt den Fuß aufsetzen würde. Sein Vorhaben war für ihn schwieriger, als es für andere gewesen wäre, weil eines seiner Beine vom Knie an aus Holz war und er nicht spüren konnte, wenn sich der Boden unter seinem Schritt veränderte.
    Vor ihm erstreckte sich offenes
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