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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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hurtigen Schritten die Treppe herab, noch während sich Goethe im Eingang den Schnee von den Sohlen trat.
    Der gleichaltrige Minister brach mitten in der Begrüßung ab, als er Goethes zerschundenen Antlitzes gewahr wurde. »Herrje, Goethe! Sie sind ja grün und blau wie ein Harlekin! Sind Sie beim Weinstampfen unter die Hacken geraten?« Er rümpfte die Nase. »Sie riechen zumindest ganz danach.«
    Goethe übergab Hut und Mantel einem Lakaien und folgte Voigt ins obere Stockwerk. Über den Anlass dieses Treffens des Geheimen Consiliums konnte selbst Voigt keinen Aufschluss geben. Im weiß-goldenen Audienzsaal erwartete sie Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, der sich ein Leopardenfell gegen die Kälte um den Nacken gelegt hatte, mit drei Gästen, die um einen Tisch mit Tee und Gebäck versammelt waren. Als sämtliche Diener den Raum verlassen und die schweren Türen hinter sich geschlossen hatten, legte Goethe die Ledermappe auf einem Seitentisch ab, und Carl August stellte die Anwesenden vor. Im Kamin loderte ein Feuer, und Goethe hoffte inständig, dass der Rauch wenigstens den Geruch des getrockneten Burgunders in seinem Kragen überdeckte. Er hätte auch das Hemd wechseln sollen.
    Der erste der drei Gäste war ein Captain der britischen Armee mit dem Namen Sir William Stanley. Sir William war in Zivil gekleidet, in einen dunklen Frack mit hohem Stehkragen, einer weißen Seidenkrawatte und olivgrünen Leinenhosen in hohen Stiefeln. Ein Zweispitz lag neben ihm auf dem Polster der Recamière sowie ein Spazierstock mit einem elfenbeinernen Knauf in der Form eines Löwenkopfs. Sein Gesicht war schmal wie seine Lippen, und entweder war seine verdrießliche Physiognomie gottgegeben oder nur Ausdruck seines Missfallens am hier ausgeschenkten Tee, den er unberührt in der Porzellantasse vor sich hatte erkalten lassen. Er hatte bis eben in der neusten Ausgabe von London und Paris geblättert, und offen vor ihm lag der Nachdruck einer englischen Karikatur auf die Kaiserkrönung Napoleons, auf der ein geradezu pygmäischer Korse in viel zu großen Roben dem misslaunigen Papst zum Altar folgte, zu seiner Linken die unnatürlich aufgedunsene Kaiserin Joséphine und der Teufel selbst als Ministrant.
    Der Zweite in der Runde, Baron Louis Vavel de Ver say, ehemals Legationsrat der niederländischen Gesandtschaft in Paris, hätte leicht für einen jüngeren Bruder Carl Au gusts gelten können, denn auch er hatte das rundliche Antlitz mit dem seltsam hervorstehenden Kinn und die gleichen freundlichen Augen. Im Gegensatz zum demokratisch gekleideten Stanley schien de Versays Garderobe noch aus den Krönungszeiten Josephs IL herzurühren: ein blauer Gehrock mit Goldborten und eine Zopfperücke, die sein Haar bis auf den dunkelblonden Backenbart bedeckte.
    Von Anbeginn gebannt waren Voigt und Goethe aber vom Anblick des dritten Gastes, einer Frau, die sich mit dem Holländer den Platz auf der Chaiselongue teilte – denn ihr Gesicht war von einem dichten grünen Schleier bedeckt, an dem nur ihre braunen Locken einen Weg vorbei fanden. Sie trug ein schwarzes Kleid, das unter der Brust mit einer Schleife geschnürt war, und einen großen Schal über den Schultern. Als Carl August sie vorstellen wollte, geriet er unvermittelt ins Stocken, und sie half ihm aus: »Sophie Botta«, sagte sie, während sie den bei den Geheimen Räten ihren Handrücken zum Kuss reich te. Die Grazie ihrer Bewegungen ließ nicht daran zweifeln, dass sich hinter dem Schleier nur noch mehr Schönheit verbarg.
    »Wir haben uns hier zusammengefunden«, hob Carl August an, als alle Platz genommen hatten, »weil wir der gemeinsamen Überzeugung sind, dass der Emporkömmling Napoleon Bonaparte nach seiner aberwitzigen und unrechtmäßigen Krönung zum Kaiser der Franzosen danach strebt, sein falsches Empire weiter auszudehnen und Europa mit Krieg zu überziehen – und weil es unsre Überzeugung ist, dass man ihm darin Einhalt gebieten kann und muss. Als Briten, Holländer und Deutsche sprechen wir auch stellvertretend für Spanier, Schweden und Russen – und nicht zu vergessen für die Anhänger eines Frankreich, welches sein Heil im friedlichen Zusammenleben mit den anderen Völkern sucht und nicht in ihrer Unterwerfung.« Hier wies er auf die verschleierte Frau Botta. »Ich bin der Meinung, dass es vor allem im Interesse der Deutschen liegen sollte, Bonaparte aufzuhalten. Denn dass er die französische Grenze bereits bis an den Rhein getrieben hat und
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