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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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kauend trat er auf den Frauenplan. Es war eisig kalt und windstill, und der Himmel hatte die Farbe des schmutzigen Schnees.
    Er lief, so schnell es das glatte Pflaster zuließ, und wenn ihn jemand grüßte, nickte er nur. Eine Gruppe Gän se wich ihm schnatternd aus und kämpfte, als er passiert hatte, um eine Brosame, die von seiner Semmel zu Boden gefallen war.
    Nach einigen Metern schloss ein junger Mann zu Goe the auf. »Herr von Goethe! Herr Geheimrat, so bleiben Sie doch einen Moment stehen!«
    »Wenn ich auch morgen noch Geheimrat sein will, darf ich gerade das nicht. Es eilt, wissen Sie.«
    »Erlauben Sie mir dann freundlicherweise, dass ich Sie wenigstens ein Stück des Weges begleite.«
    »Gerne«, erwiderte Goethe mit halb vollem Mund. »Aber sollte ich ausgleiten, wird Ihnen die unrühmliche Aufgabe zukommen, meinen Sturz zu bremsen.«
    Als sie gemeinsam den Markt überquerten, nahm Goethe den Burschen in Augenschein. Er hatte die dunklen Haare über dem ovalen, fast kindlichen Gesicht in die Stirn gekämmt, und obwohl er einen langen Mantel trug und den Schal um Hals und Kopf gewickelt hatte, sah Goethe seiner Gesichtsfarbe an, dass er lange in der Kälte ausgeharrt hatte – und über einen belebenden Schritt nur dankbar sein konnte.
    »Hochwohlgeborener Herr von Goethe, ich begegne Ihnen gewissermaßen auf den Knien meines Herzens«, setzte der junge Mann an. »Ich war bis vor Kurzem Leutnant des preußischen Heeres und war, wie auch Sie, auf dem Feldzug am Rhein, habe aber jetzo dem Militär den Rücken gekehrt, um ganz und gar meiner Bestimmung zum Dichter zu folgen.«
    »Das machte uns entweder zu Kollegen oder zu Konkurrenten.«
    Der junge Mann bemerkte erst jetzt das Veilchen, das auf Goethes Auge blühte. »Ei, was zum Henker, Herr Geheimrat! Was ist mit Ihnen geschehen? Was hat Ihnen das Gesicht so verrenkt?«
    »Ein Kritiker meines Werks. – Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich komme auf Empfehlung von Wieland, bei dem ich derzeit logiere und der meint, Sie, Goethe, seien sowohl als der größte lebende und von mir sehr bewunderte Poet Teutschlands wie auch als Direktor des hiesigen Hoftheaters die rechte Adresse, ein Lustspiel aus meiner Feder zu präsentieren, welches bislang zwar unbekannt, aber sicherlich dazu angetan ist, Sie und das geneigte Weimarer Publikum trefflich zu amüsieren und zu belehren.«
    Goethe blieb einen Augenblick stehen und zwinkerte seinem Gegenüber zu. »Mein junger Freund, wenn Ihr ganzes Lustspiel aus solchen Schachtel- und Aberschachtelsätzen besteht, dann wird es selbst das geneigteste Publikum wohl eher verwirren und ermüden als amüsieren und belehren.«
    Der andere erwiderte das Lächeln nicht. »Wieland sag te mir, das Theater hätte einen großen Bedarf an Komödien.«
    »In der Tat. Je trostloser das Zeitgeschehen, desto größer der Wunsch nach Zerstreuung«, sagte Goethe und zwängte den allzu großen Rest der Semmel in seinen Mund. »Bie beupfen Komöbienbichber bürfen baher auf Mapoleon hoffen.«
    »Dann müssen Sie mein Stück spielen, Euer Exzellenz.«
    »Bevor ich Ihr Stück spielen muss , muss ich es zuallererst lesen.«
    »Dann lesen Sie es. Lesen Sie es, Herr Geheimrat, und falls Sie Fragen dazu haben sollten oder Vorschläge, werden wir darüber sprechen. Aber bitte geben Sie es nicht aus der Hand. Ich hoffe auf Euer Exzellenz guten Willen.«
    Er öffnete die Knöpfe seines Mantels mit zitternden Händen und förderte das darunter verborgene Stück zuta ge. Es war eine kleine Ledermappe, in der sich eine Ab schrift des Lustspiels auf billigem Papier befand, mit einem Leinenfaden behelfsweise gebunden. Goethe zögerte ei nen Moment, aber da ihn der Bursche plötzlich mit so emp findsamer Miene ansah, einen Tropfen Rotz an der Spitze der roten Nase, getraute er sich nicht, das angebotene Werk abzulehnen.
    Sie waren über ihre Unterhaltung am Residenzschloss angelangt, und Goethes Weggefährte verabschiedete sich nun mit zahlreichen Höflichkeiten. Das Manuskript war zu groß für jede von Goethes Taschen, sodass er es in den Händen halten musste. Er ärgerte sich schon jetzt darüber, dass er es angenommen hatte, denn seine Ankunft mit einem Buch in der Hand würde vermuten lassen, er hätte sich auf dem Weg nicht geeilt, sondern vielmehr Muße genug für Lektüre gehabt. Er beschleunigte seine Schritte im Hof des Schlosses, für den Fall, dass jemand seine Ankunft durchs Fenster beobachten sollte. Und tatsächlich kam Geheimrat Voigt mit
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