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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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Aufregung und in seiner ganzen Haltung lag eine Art Euphorie. Hätte ich es nicht besser gewusst, so hätte ich angenommen, er habe ebenfalls von diesen Pilzen gegessen, deren Namen Psilocybe aurea sie das erste Mal in den persönlichen Aufzeichnungen der Studenten aus den 70ern gefunden hatten.
    Ob Robert wohl alles fühlte? Die Formeln, all die mathematischen Modelle, die er mit Leichtigkeit nachvollzog und mit denen er die kompliziertesten Gleichungen löste?
    »Siehst du? Den Kreis im Mauerwerk?« Robert deutete auf die Wand.
    Ich erinnerte mich deutlicher, als mir lieb war. Diese Kreise hatten jeden Durchgang im Labyrinth gekennzeichnet, durch die wir von einem Tunnel zum nächsten gelangt waren.
    »Die Dinge hängen alle zusammen. Sie haben ihren Rhythmus. Sie haben ihre Zeit. Es gibt ein System. Und nur hier unten können wir das Rätsel lösen«, erklärte Robert. »Es ist die letzte Chance für lange Zeit.«
    »Du hoffst, dass die Wand sich wieder öffnet.«
    »Es muss so sein. Sonst weiß ich nicht weiter«, flüsterte Robert.
    Er nahm Platz auf dem staubigen Boden und versank in diesen Zustand, in dem es mir kaum gelingen würde, ihn herauszureißen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihm nachzugeben. Aber es fiel mir verdammt schwer, das Gefühl der Ungeduld zu bekämpfen, das bei Roberts Anblick in mir hochstieg.
    Wenn die anderen mich manchmal als Priester bezeichneten, dann war klar, worauf sie anspielten. In ihren Augen verkörperte ich so ziemlich jede Tugend, ich war der, auf den man sich immer verlassen konnte. Aber ich wusste, ich war im Grunde nur ein Feigling. Ein Fake. Ich war die zwei Seiten einer Münze. Kopf und Zahl. Es war nicht möglich, sich einfach für eine von beiden Seiten zu entscheiden, oder? Auch nicht, wenn man einen Eid ablegt.
    Plötzlich sprang Robert auf. Ein kaum wahrnehmbares Zittern hatte ihn ergriffen, er war noch blasser geworden. »Heute wird etwas passieren«, hörte ich seine Stimme. »Ich spüre es, David.«
    »Ja, ich hab es ja verstanden. Heute wird sich der Zugang zum Labyrinth wieder öffnen.«
    Robert rührte sich nicht.
    »Nein«, flüsterte er dann. »Nicht nur.« Pause. »Ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll«, fügte er dann hinzu.
    »Wovon sprichst du, Robert?«
    »Ich kann die Dinge nicht einfach so geschehen lassen, verstehst du, David? Ich muss hierbleiben. Ich brauche den Beweis. Aber gleichzeitig …« Er schüttelte den Kopf, wie um die Gedanken zu vertreiben. »Es macht das extra, oder nicht?«
    »Was, Robert? Was meinst du?«
    Robert antwortete nicht. »Julia«, sagte er stattdessen. »Sie ist in Gefahr, das spüre ich.«
    Julia.
    Von Anfang an war da etwas gewesen, das mich zu Roberts Schwester hinzog. Sie war wie ich. Auch sie bestand aus zwei Teilen, die nicht zueinanderpassten. Auf der einen Seite die abweisende, manchmal schroffe Art, wenn jemand ihr zu nahe kam. Phasen, in denen sie in sich gekehrt war und nichts als Trauer verkörperte. Dann wieder Tage, an denen sie eine Lebensenergie zeigte, einen Willen, sich über alle Grenzen hinwegzusetzen.
    Aber ehrlich gesagt, in letzter Zeit dachte ich immer weniger an sie.
    Ich schien langsam über sie hinwegzukommen. Der Grund war nicht Chris. Nein, sie hatte für mich ihr Geheimnis verloren, seit ich ihre Geschichte kannte. Sie schien mir nicht länger eine Seelenverwandte zu sein. Aber im Grunde betraf uns das alle. Je besser wir uns kannten, uns gegenseitig unsere Vergangenheit erzählten und die Gründe, die uns hier hoch ins Tal geführt hatten, desto mehr wurde uns klar, dass dahinter eine Macht stand, deren Einfluss wir uns nicht entziehen konnten. Noch nicht.
    »Julia geht es gut«, sagte ich. »Bis auf die Tatsache, dass sie in ihrer Prüfung sitzt und wahrscheinlich die gesamte englische Literatur verflucht.«
    Robert nahm die Brille ab, rieb sie an seiner Jacke und setzte sie wieder auf.
    »Irgendetwas stimmt nicht. Ich fühle es, David. Da ist diese schwarze Wolke. Etwas gerät aus dem Gleichgewicht.«
    »Du meinst, wir sollten zurückgehen?«
    Robert sah verzweifelt aus. »Das ist es ja gerade. Wir müssen hierbleiben. Wir haben keine Wahl. Nur wenn die Wand zum Labyrinth sich tatsächlich öffnet, kann ich beweisen, dass Dave Yellad recht hatte.«
    Ich hatte nie zu den Menschen gehört, die ein Unglück vorhersahen oder besser von einem unbestimmten Gefühl der Angst gequält wurden, dass etwas passieren könnte. Wenn ich über eine solche Fähigkeit verfügt hätte,
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