Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
Vom Netzwerk:
hätte ich nicht nur ein Leben retten können. Deswegen schwieg ich jetzt. Und deswegen wartete ich, welche Entscheidung Robert traf. Ich musste es tun, denn Robert war der Einzige, der wusste, was richtig oder falsch war.
    Wie schwer mir das fiel, kann ich gar nicht sagen. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging, in der wir nicht sprachen. Robert ging es zunehmend schlechter. Sein Gesicht war kalkweiß und man konnte hören, wie seine Zähne aufeinanderschlugen. Und das war der Moment, in dem ich alle Überlegungen über Bord warf. Wenn Robert tatsächlich fühlte, dass Julia in Gefahr war, dann stimmte das auch.
    Ich stand auf, schüttelte den Staub aus meiner Kleidung. »Lass uns gehen.«
    »Nein, es dauert nicht mehr lange«, flüsterte Robert. »Ich spüre es.«
    »Warum tust du dir das an? Ich sehe doch, es geht dir beschissen.«
    »Aber das ist kein Grund, oder? Es ist kein Grund, einfach aufzugeben.«
    »Was ist mit Julia?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Dann müssen wir nachsehen, ob es ihr gut geht.«
    Robert reagierte nicht.
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wie ich ihn dazu bringen sollte, seine Idee aufzugeben, eine Formel könnte uns alle retten. Retten konnten wir nur uns selbst. Uns, und was mich betraf, andere.
    »Ich kann nicht länger hierbleiben, Robert. Nicht, wenn du mit deiner Ahnung recht haben solltest, dass da oben irgendetwas geschieht.«
    »Okay«, flüsterte Robert. »Geh. Ich mach das hier allein.«
    »Sei vernünftig, Rob. Du siehst ja, nichts passiert. Vielleicht sind deine Berechnungen oder was immer du da in dein Notizbuch gekritzelt hast, falsch. Irgendein Fehler in dieser Formel.«
    »Nein.«
    Ich versuchte es mit einem Bluff und wandte mich um, scheinbar bereit, den Kellerraum zu verlassen, der mir immer mehr wie eine Gefängniszelle vorkam.
    Ich hatte schon einige Stufen der Wendeltreppe genommen, als ich das Geräusch hörte. Ich fuhr herum. Ein lautes Knirschen, als ob sich etwas Schweres bewegte. Im nächsten Moment stand ich wieder neben Robert und sah zu, wie die Steinwand, auf die Robert die ganze Zeit gestarrt hatte, sich langsam drehte. Irgendwo dort oben musste sich ein Mechanismus, ein Drehpunkt befinden, um den herum sich die Mauer bewegte.
    »Es funktioniert.« In Robert kehrte Leben zurück. »Siehst du! Es funktioniert. Ich habe gewusst, heute ist der Tag. Die Formel stimmt, David. Das ist der Beweis. Ich bin auf dem richtigen Weg.«
    Schon zwängte er sich durch den Spalt. Dahinter lag das Dunkel.
    »Komm.«
    Aber etwas hinderte mich, Robert zu folgen. Vielleicht die Erinnerung daran, wie ich mich durch die Tunnel geschleppt hatte, immer den Gedanken im Kopf, dass wir nie den Weg zurückfinden würden. Dass dort unten etwas Unheimliches war, dem zu begegnen, mir alle Kraft rauben würde, die ich brauchte, um zu meinem eigenen Leben zurückzukehren.
    Robert sah sich nicht zu mir um. Er war sicher, dass ich ihm folgen würde.
    Ich war schon fast dabei, mich durch den Spalt zu drängen, als ich das Handy in meiner Jackentasche surren hörte.
    Ich zog das Telefon aus der Tasche.
    Eine neue Nachricht.
    Sie kam von Chris.
    Ich starrte auf den Text und spürte, wie der Schock einsetzte. Erst das Knirschen der Mauer riss mich aus der Starre. Die Wand hatte sich bereits um neunzig Grad gedreht und war dabei, sich wieder zu verschließen.
    »Robert!«, schrie ich. »Robert, du musst zurückkommen. Du hast recht, es ist etwas passiert.«
    Stille antwortete mir. Konnte er mich überhaupt noch hören?
    Einem Impuls folgend, zwängte ich mich durch den Spalt. Der Stein war nicht kalt, sondern angenehm warm, ähnlich einer Fußbodenheizung. Ich fühlte, wie die Wand näher und näher kam. Der Platz wurde immer enger.
    »Es geht um Julia«, schrie ich in die Dunkelheit. »Wir müssen zurück. Robert, hörst du mich?«
    Auf dem leuchtenden Display meines Handys schienen die Buchstaben wie eingebrannt. Nein, ich hatte es nicht vorausgeahnt, wie Robert. Aber natürlich hatte ich gewusst, dass die Vergangenheit auch mich einholen würde. Es wäre ein Wunder, wäre ich verschont worden.
    Unaufhaltsam bewegte sich die Mauer weiter.
    »Rob, verdammt, wir müssen zurück. Sie haben den Code 111 ausgerufen.«
    Diesmal brauchte ich nicht lange zu warten.
    Innerhalb von zwei Sekunden tauchte Robert vor mir auf. Sein Gesicht sah im Licht des Handydisplays gespenstisch aus.
    Code 111.
    Damals hatte der Code anders gelautet, aber es spielte keine Rolle. Ich begriff, was er bedeutete.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher