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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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auf und schließlich sah ich mich dem langen Flur gegenüber, der nur schwach von der Notbeleuchtung erhellt wurde.
    Ich dachte an damals und spürte wieder das Gewicht meines Beines, die unendliche Erschöpfung und schließlich die Erleichterung, als Katie erkannt hatte, wo wir uns befanden. Sie hatte mir das Leben gerettet, indem sie mich aus dem Labyrinth hier hochgeschleppt hatte.
    Seit diesem Tag waren die anderen hier mehrfach unten gewesen. Katie, Dave Yellad und Robert. Sie hatten versucht, erneut ins Labyrinth abzusteigen, und tatsächlich, sie hatten auch die Metalltür gefunden, durch die wir damals gekommen waren, nachdem wir uns die schier endlose Wendeltreppe heraufgeschleppt hatten.
    Nur dass die Treppe verschwunden gewesen war. So jedenfalls hatten sie es berichtet. Die Tür ließ sich öffnen, doch dahinter war nur nackte Steinwand gewesen. Genauso wie der andere Zugang zum Labyrinth, den wir unweit vom Solomonfelsen im Tal gefunden hatten, war die Treppe nicht mehr existent. Als ob sie nie dort gewesen waren.
    Doch sie hatten nicht aufgegeben zu suchen. Wie Katie schien Robert davon besessen zu sein. Er behauptete immer, dass die Zugänge durchaus noch vorhanden seien. Es sei nur eine Frage der Logik, bis sie sich wieder öffneten.
    »Komm schon«, sagte Robert jetzt und zog mich ungeduldig durch den Gang.
    Die stickige, feuchte Luft hier unten nahm mir den Atem, aber vielleicht war es auch einfach nur Angst, die mich lähmte. Doch nichts wies darauf hin, dass sich außer uns noch jemand hier unten befand. Die Räume der Security lagen im Dunkel. Nur das Brummen, das aus dem Netzwerkraum drang, überlagerte die Stille auf dem Flur.
    Warum war ich bloß mitgekommen? Es gab keine verdammte Formel, die dem Menschen Erkenntnis brachte. Alles, was Dave Yellad in seinem Reisetagebuch geschrieben hatte, war Ausdruck seines Wahnsinns. Er hatte sich in einem fortdauernden Rausch befunden, hervorgerufen durch die Pilze, die Benjamin fast das Leben gekostet hätten. Wie konnte Robert nur einen Moment denken, diese Zeichen und Symbole, die er notiert hatte, wären irgendwie von Bedeutung?
    Ich hörte, wie Robert leise ausatmete. Er war vorgegangen und hatte die Tür aufgerissen, die nicht, wie ich erwartet hatte, verschlossen war.
    Und dahinter ragte auch keine Steinwand auf.
    Natürlich nicht. Wie hatte ich an ihm zweifeln können? Ich kannte Robert doch nun schon fast zwei Jahre.
    Alles war wie damals. Die Wendeltreppe tauchte vor uns auf, als ob sie immer da gewesen wäre.
    Ich stoppte und starrte auf die Stufen.
    Schon hatte Robert einige der Metallstufen hinter sich gebracht. Sie dröhnten dumpf bei jedem Schritt, aber Robert bemühte sich nicht, leise zu sein. Im Gegenteil, er wurde immer schneller. Drehte sich nicht einmal nach mir um. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    Die Wendeltreppe wand sich nach unten, wenn auch nicht ganz so endlos, wie ich es in Erinnerung hatte. Aber damals war meine Wahrnehmung auch sehr getrübt gewesen.
    Mir wurde schwindelig. Ich verlor jedes Gefühl für Zeit. Waren wir jetzt fünf Minuten unterwegs? Oder war es nur eine? Ich hatte keine Ahnung.
    Endlich erreichten wir einen leeren Raum, der von allen Seiten durch rohes Mauerwerk begrenzt wurde. Er erinnerte mich an den Keller im Haus meines Großvaters. Er war ein verbitterter alter Mann gewesen, der das Arbeitszimmer kaum verlassen hatte. Immer ein Buch auf dem Schoß, hatte ich ihn nie lesen sehen, weshalb ich irgendwann zur Überzeugung gelangte, dass es sich über all die Jahre immer um dasselbe Buch gehandelt hatte. Doch wenn ich meine Mutter danach fragte, erhielt ich keine Antwort. So hatte ich zum ersten Mal die Grenze des Schweigens erreicht und hatte sie nie wieder überschritten.
    »Dafür ist jetzt keine Zeit.« Robert sah mich kopfschüttelnd an.
    »Wofür?«
    »Für Erinnerungen«, erwiderte er ganz selbstverständlich und starrte auf seine Armbanduhr.
    Die Wand vor uns wies keinen Spalt auf. Nirgends konnte man einen Hinweis erkennen, dass dahinter ein Gang lag, der unter die Oberfläche des Lake Mirrors bis zu dem Saal unter der Glaskuppel führte.
    Und doch – inzwischen war mir natürlich klar, dass Robert etwas herausgefunden hatte, was der Zugangsschlüssel sein musste. Anderenfalls wäre der Zugang zur Treppe versperrt gewesen.
    Robert zog seinen Kompass hervor. Dann deutete er auf die Mauer rechts von uns. »Durch diese Wand sind wir damals gekommen.«
    Er zitterte geradezu vor
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