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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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Triebfeder gewesen wäre und nicht Hochmut. Aber die Idee, Middlemere an Betty und Caleb zu vermieten, war ihm erst später gekommen, vielleicht, um nach all dem Schlimmen, das er getan hatte, doch noch etwas Gutes zu tun. Vielleicht als Buße.
    Er hatte Cole zur Räumung gezwungen, weil dieser ihm unerträglich geworden war. Er hatte ihn zur Räumung gezwungen, weil er der einzige Mann in Swanton war, der nicht die Mütze vor ihm zog. Und weil er der einzige Bauer war, der nicht wenigstens Achtung vor ihm vortäuschte. Er hatte Cole zur Räumung gezwungen, weil diesem die Verachtung in den scharfen, braunen Augen gestanden und sich im Ton seiner Stimme ausgedrückt hatte. Cole hatte sich für besser gehalten als Osborne Daubeny. Coles Verachtung war die des Mannes, der es aus eigener Kraft zu etwas gebracht hatte, für diejenigen, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren waren. Jede Geste, jede Herausforderung seiner – Osbornes – Autorität war von Coles unerschütterlichem Glauben an seinen eigenen hohen Wert diktiert gewesen.
    Coles Einschätzung seiner Person hatte ihn an einem wunden Punkt getroffen. Er hatte kaum je Gelegenheit bekommen, sich zu bewähren. Nicht er, sondern sein älterer Bruder war im ersten Weltkrieg an der Front gewesen und gefallen. Er war noch zur Schule gegangen, als der Krieg ausgebrochen war, und als er endlich 1918 nach Frankreich geschickt wurde, hatte er sich prompt die Masern geholt. Ausgerechnet die Masern, eine Kinderkrankheit – eine größere Demütigung hätte es nicht geben können. Die Krankheit hatte ihm eine Schwerhörigkeit auf einem Ohr hinterlassen, und als er wieder gesund war, war der Krieg schon beinahe vorbei gewesen.
    Infolge des Todes seines Vaters im Jahr 1912 und seines älteren Bruders 1915 war das Gut mit hohen Erbschaftssteuern belastet gewesen. Die zwanziger und dreißiger Jahre hindurch hatte er einen verbissenen, aber vergeblichen Kampf geführt, auf Swanton Lacy wieder Gewinne zu erwirtschaften. 1939 hatte er sich freiwillig gemeldet, war aber wegen seines Alters und seiner Schwerhörigkeit abgelehnt worden. Daraufhin hatte er seine Bestimmung in der Arbeit für den Kriegsbezirksausschuß für Land- und Forstwirtschaft gesehen. Er hatte augenblicklich begriffen, von welch großer Bedeutung in diesen Kriegszeiten eine effiziente Nahrungsmittelproduktion für Großbritannien war. Mit dem glühenden Eifer eines Kreuzritters hatte er sich in die Arbeit gestürzt: Brachliegende Felder wurden umgepflügt und mit Saatkartoffeln bebaut, Weideland, auf dem über Jahrhunderte die Schafe gegrast hatten, wurde zu Ackerland gemacht. Sumpfland wurde trockengelegt, Buschwerk und Gestrüpp beseitigt, Disteln und Kreuzkraut in riesigen Mengen gejätet.
    Aber Cole hatte sich quergestellt. Cole bildete sich immer ein, alles besser zu wissen. Auf den Feldern am Nordhang des Hügels könne man keine Knollenfrüchte anbauen, behauptete er, weil sie zu steinig seien. Auf den Feldern im Tal könne man kein Getreide anbauen, weil man das Land nicht trockenlegen könne. Einmal war er nach dem Morgengottesdienst aus der Kirche gekommen, und da hatte Cole auf ihn gewartet. Vor allen Leuten hatte er ihn beschimpft, das wettergegerbte Gesicht hochrot vor Wut, seine Worte ungezügelt und voller Anklage. Seine Frau hatte ihn schließlich weggezogen, aber nicht, bevor er Osborne Daubeny vor dem ganzen Dorf gedemütigt hatte.
    Auch Paynter war mit Cole zusammengestoßen. Daubeny hatte damals den Verdacht gehabt, daß hinter Paynters vernichtendem Gutachten über den Zustand des Middlemere-Hofs persönlicher Groll gesteckt hatte. Und er, Daubeny, dem Cole um diese Zeit bereits gründlich verhaßt gewesen war, hatte Paynter schalten und walten lassen, ohne selbst einzugreifen. Hättest du es verhindern können? hatte Evelyn ihn vor dreieinhalb Jahren gefragt. Natürlich hätte er es verhindern können. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er eingreifen und verhindern können, daß die ganze Sache außer Kontrolle geriet. Aber er hatte es nicht getan. Sein Stolz, seine Unfähigkeit einzugestehen, daß er im Unrecht sein könnte, hatten es ihm nicht erlaubt, und der Rachefeldzug hatte unaufhaltsam seinen Lauf genommen.
    Ein Jahr nach Coles Tod war er nach Middlemere gefahren, um nach dem Land zu sehen. Er hatte es an den Bauern verpachtet, der die benachbarten Felder bewirtschaftete, einen liebenswürdigen Hünen namens Abbott. Das Tal war immer noch nicht trockengelegt, und auf
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