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Das Erbe des Greifen

Titel: Das Erbe des Greifen
Autoren: Carl A. DeWitt
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des Gefallenen. Er drehte ihn auf den Rücken. Der Schlamm hatte sich wie eine Maske über das Gesicht des Toten gelegt und ließ nicht erkennen, ob der Mann jung oder alt gewesen war. Pulver war froh darum. Die letzten Tagen hatte er mehr als genug Tote gesehen.
    »Die Meisten von ihnen wird es in die See hinausgespült haben«, ließ sich der Zwerg nun vernehmen und ließ den Arm des Toten wieder los, der nur langsam herabsank. Die Leichenstarre hatte sich noch nicht wieder ganz gelöst. »Es bleiben ihrer dennoch Hunderte.« Er sah auf den toten Soldaten herab. »Schau, wie gut er gerüstet ist«, meinte er dann. »Wir brauchen diese Rüstungen und Waffen. Wir haben viel zu wenige davon.« Er musterte Pulver. »Du brauchst auch eine. Deine Lederjacke dürfte wohl kaum ausreichend Schutz gegen einen Schwertstreich bieten.«
    »Ich habe nicht vor, mich einem Schwert in den Weg zu stellen«, antwortete Pulver sanft. »Niemand widerspricht dir, Ralik. Wir alle wissen, dass es getan werden muss. Nur nicht jetzt, nicht heute. Und nicht von dir.«
    Er blickte zum Horizont, an dem die Sonne nur noch einen Finger breit über dem bleiernen Meer stand. »Es wird bald dunkel, Freund Ralik. Wir brauchen deine Weisheit im Rat, dort bewirkst du mehr, als wenn du hier die Leichen plünderst.«
    Die buschigen Augenbrauen des Radmachers zogen sich unter seinem Helm zusammen. »Was erwartest du von mir, Pulver? Dass ich dem Rat Mut mache? Dass ich mich hinstelle und ihm sage, was für ein glorreicher Sieg das war?«
    »Aber es war ein Sieg. Sogar ein wichtiger Sieg«, sagte Pulver leise. »Wenn dein Sohn nicht …«
    Doch der Zwerg hörte ihm schon nicht mehr zu, sondern sah über den schlammbedeckten Platz vor ihnen. »Er ist hier irgendwo«, murmelte er dann und griff seinen Hammer fester. Er blickte zu Pulver hoch. »Geh ruhig vor, mein Freund. Ich komme nach, wenn ich ihn gefunden habe.«
     
    »Der Preis des Krieges«, meinte Lamar nachdenklich.
    »In der Tat«, nickte der alte Mann und nahm einen tiefen Schluck von seinem Tee. »Selbst ein Sieg kann bitter sein.«
    »Er suchte dort also nach seinem Sohn. Das muss sehr schwer für ihn gewesen sein. Wo hat er ihn schließlich gefunden?«
    »Er fand ihn überhaupt nicht«, erklärte der Geschichtenerzähler. »Es sollte noch länger dauern, bis er die frohe Kunde erhielt.«
    »Er hat also gedacht, Argor wäre tot?«, fragte Saana traurig.
    »Ja, Prinzessin.«
    »Hat er viel geweint?«
    Der alte Mann nickte. »Ich bin mir sicher, dass er es tat«, sagte er dann. »Nur war er zu stolz, um seinen Schmerz vor anderen zu zeigen. Ralik war ein tapferer Mann, doch eine solche Prüfung sollte keinem Vater auferlegt werden.«
    »Aber Argor lebte doch noch, nicht wahr?«, fragte Saana ungeduldig. »Ich will jetzt nichts mehr von den Toten hören! Erzähl lieber von Argor und Knorre!« Sie zog an dem grauen Haar des Erzählers. »Bitte! Ich mag Knorre, er ist verrückt!«
    »Na, wenn das so ist …«, lachte der alte Mann. »Erinnerst du dich noch, was Argor zuletzt sah, als das Wasser über ihm zusammen schlug?«
    »Ein Licht«, jubelte Saana. »Und jemand reichte ihm die Hand! Wer ist das gewesen?«
    »Kannst du dir das nicht denken?«, schmunzelte der alte Mann.
    »Es war bestimmt Knorre!«, meinte Saana überzeugt. »Oder die Frau im Brunnen.«
    »Wie kommst du denn darauf«, fragte der alte Mann überrascht.
    »Nur so«, antwortete Saana. »Aber was war jetzt mit Argor und Knorre?«
    »Nun«, begann der Geschichtenerzähler, »eine so mächtige Magie, die einen Zwerg aus tiefem Wasser erretten kann, ist nicht alltäglich. Zudem handelte es sich um eine alte Magie, die ursprünglich nicht zu diesem Zweck eingesetzt wurde. Dennoch wirkte sie, wenn auch nicht ganz so, wie man es sich gewünscht hätte.« Er lachte leise. »Was auch damit zu tun hatte, dass Argor das Wasser nie sonderlich leiden konnte …«

 
Stein, Wasser und Magie
     
    Als Argor wieder zu sich kam, hatte er das Gefühl, dass seine Lungen aus flüssigem Feuer bestehen würden. Deshalb zog er würgend und hustend mit Mühe und Not gerade so viel Luft ein, wie er zum Atmen brauchte, während sein Herz raste, als wäre er zehn Wegstunden nur bergauf gerannt.
    Neben ihm wälzte sich, genauso hustend und spuckend wie er selbst, Knorre, der noch immer seinen weißen Stab in der Hand hielt. In der Ferne hörte Argor jemanden schreien, nur kümmerte ihn das im Moment nicht weiter, denn sein Magen hob und senkte sich, und
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