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Das Erbe des Greifen

Titel: Das Erbe des Greifen
Autoren: Carl A. DeWitt
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Platz, und alle Tische waren besetzt, nur an einem, in der Mitte des Raumes, war ein Stuhl für ihn frei gehalten worden. Der grauhaarige Geschichtenerzähler unterhielt sich gerade mit einer jungen Frau, die lächelnd aufsah, als Saanas Stimme ertönte.
    »Dort ist sie!«, deutete der alte Mann auf Saana. »Sie ist uns also nicht verloren gegangen!«
    »Ich habe Lamar wecken wollen, Mama«, teilte Saana dem Gastraum fröhlich mit. »Aber er war schon wach!« Freundliches Gelächter empfing Lamar, und er sah in viele Gesichter, die ihn seltsam prüfend musterten, zum größten Teil aber doch ein freundliches Lächeln für ihn bereithielten. Zu Beginn war dies anders gewesen, da war er einem jeden hier fremd gewesen. Doch das hatte sich in den letzten drei Tagen, in denen sie alle zusammen der Geschichte des alten Mannes gelauscht hatten, geändert. Hier und da erhielt er nun sogar ein freundliches Nicken zur Begrüßung, und der Wirt selbst zog ihm mit einem breiten Grinsen den Stuhl zurück, damit er sich setzen konnte.
    »Frische Eier, gerösteter Speck und der Tee, der Euch so gut geschmeckt hat, Ser«, teilte ihm der Wirt freundlich mit. »Ich hoffe, es schmeckt Euch weiterhin … der Segen der Göttin Euch und diesem Mahl.«
    »Guten Morgen, Ser! Ihr solltet wirklich zugreifen«, begrüßte ihn nun auch der alte Mann und brach sich einen Kanten frischen Brotes ab. »Es ist gut, und Ihr solltet nicht zu lange zögern, denn heute Morgen habe ich einen mächtigen Appetit!«
    Eines war sicher, hier in Lytara nahmen die Leute ihre Geschichtenerzähler ernst. Nicht ein einzige Mal hatte der alte Mann für seinen Wein oder das Essen bezahlen müssen, und selbst jetzt, obwohl sich der alte Mann bereits sichtlich an den Eiern und dem Schinken gütlich getan hatte, war der Tisch noch reichlich gedeckt.
    Vor wenigen Tagen noch hätte sich Lamar von solch einem Verhalten brüskiert gefühlt, doch jetzt lächelte er nur und nahm sich selbst ein Stück des Brotes. Er griff nach dem Buttertiegel und hielt inne. In den letzten Tagen hatte er sich zwar daran gewöhnt, dass ihm die Leute hier ein Großteil ihrer Aufmerksamkeit schenkten, doch im Moment schien es ihm so, als würden sie etwas von ihm erwarten. Auch der alte Mann sah ihn abwartend an.
    »Mistrals Segen für dieses Mahl«, sagte Lamar nach kurzem Zögern. Offenbar hatte er die richtigen Worte gefunden, denn hier und da nickten die Leute zustimmend, und ihr Lächeln wurde freundlicher.
    »Können wir jetzt weitermachen?«, fragte Saana aufgeregt. »Was ist denn jetzt mit Argor und Knorre geschehen?«
    »Immer langsam«, lachte der Geschichtenerzähler. »Lass doch Ser Lamar erst zur Ruhe kommen.«
    »An mir soll es nicht liegen«, lächelte Lamar und tropfte Honig auf sein Brot. »Ich bin genauso gespannt wie die junge Sera hier!« Er zwinkerte ihr zu, und sie lachte. Es war seltsam, dachte Lamar, aber es konnte gut sein, dass Prinz Taris ihm zum ersten Mal in seinem Leben einen Gefallen getan hatte, indem er ihn hierher geschickt hatte.
    »Nun«, begann der alte Mann. »Gestern erzählte ich, wie Argor, der Sohn unseres Radmachers Ralik, und Knorre, der Arteficier, ihr eigenes Leben nicht achtend, den alten Staudamm zum Bersten brachten und die Truppen des Grafen Lindor in die See spülten. Zugleich aber, und das sollte sich als um einiges wichtiger erweisen, nahmen sie auch der Verderbnis, die so lange über der alten Stadt gelegen und sie verseucht hatte, ihre Macht.
    Doch wie so oft, wenn Tragisches geschieht, nahm das Wetter keine Rücksicht darauf, denn am nächsten Tag strahlte die Sonne von einem wolkenlosen, blauen Himmel, in dem die Möwen kreisten … nur vermochte niemand, dies als gutes Omen zu sehen. Denn die Möwen waren gekommen, weil ihnen auf dem Platz vor der alten Börse ein unwiderstehliches, überreichliches Mahl geboten wurde …«
    »Warum? Hat jemand Brotkrumen verteilt?«, fragte Saana neugierig. »Nicht ganz«, erwiderte der alte Mann und hob sie auf sein Knie. »Es gab nur sehr viel für sie zum Fressen.« Für einen Moment verdüsterte sich sein Gesicht, aber er lächelte sofort wieder, als sich seine Enkelin in sein Wams krallte, um sich auf seinem Bein besser zurechtzusetzen. »Und was ist nun mit Argor und Knorre?«, bohrte sie weiter.
    »Gleich«, vertröstete sie der alte Mann. »Hab etwas Geduld, Prinzessin, denn die Geschichte fängt nun einmal an diesem Morgen in der alten Stadt an. Argors und Knorres Tapferkeit hatte den
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