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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin
Autoren: Ricarda Jordan
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das nicht schnell«, sagte er ruhig. »Ich habe lange gebraucht, um hier heraufzukommen. Herunter ist es noch schwerer. Ich schaffe das nicht. Geh allein!«
    Gerlin sah ihn entsetzt an. »Aber dann … dann kommst du hier doch nicht mehr weg! Salomon, ich helfe dir, ich …«
    »Lauf!«, befahl Salomon.
    Aber Gerlin stürzte sich in seine Umarmung und küsste ihn wild. Als er sie endlich abwehrte, wandte sie sich widerstrebend zum Ausgang – und schreckte zurück, als sie die Tür zum Turm öffnete. Das halbe Treppenhaus stand bereits in Flammen.
    Geneviève und der Bischof hasteten über die Wehrgänge, bis sie die kleine Burganlage einmal ganz umrundet hatten. Aber die Hoffnungen des Bischofs erfüllten sich nicht. Es gab nur einen Aufstieg auf die provisorische Burgmauer und Wehr – an Fluchtwege hatte beim Bau keiner gedacht. Die Trutzburg war auf Angriff ausgelegt, nicht auf Verteidigung oder Beschuss. Dazu gab es nur ein Haupthaus und wenige niedrige Nebengebäude. Der Bischof sah verzweifelt an der Außenwand herab. Sie war viel zu hoch, um zu springen …
    Geneviève rannte wieder in Richtung ihres Ausgangspunktes. »Kommt, Exzellenz, hier entlang!«
    »Ins Feuer?«
    Der Bischof hustete. Und tatsächlich stieg aus den Gemeinschaftsräumen im Untergeschoss bereits Rauch auf. Die Treppe stand lichterloh in Flammen, und zu Genevièves Entsetzen waren sie eben im Begriff, auf Gerlins alte Kemenate überzugreifen.
    »In den Raum von eben! Nun macht schon!« Geneviève rannte zurück zu ihrem zögernden Anhang und nahm seine Hand. »Folgt mir!«
    Die beiden erreichten die Kemenate, einen Lidschlag bevor der Wehrgang davor zusammenbrach. Der Bischof stöhnte auf. Jetzt waren sie gefangen.
    »Was habt Ihr Euch nur dabei gedacht, wir …«
    Geneviève beachtete ihn gar nicht, sondern suchte fieberhaft im Dunkeln die Außenwand ab. Sie hatte ihren Kienspan auf der Flucht vor dem Feuer verloren. Aber jetzt warfen die draußen tobenden Flammen gespenstisches Licht hinein.
    »Hier!« Aufatmend fand Geneviève die losen Bretter und schob sie beiseite. »Hier, Exzellenz, hier müsst Ihr hindurch!«
    Der Bischof steckte ungläubig den Kopf durch die Öffnung. »Aber das ist zu klein, das …«
    »Wenn Ihr stecken bleibt, verbrennen wir beide!«, schrie Geneviève ihn an. »Also strengt Euch an! Ich schiebe Euch …«
    »Und dann? Wenn wir herunterfallen, brechen wir uns alle Knochen …«
    »Es gibt eine Strickleiter. Fragt nicht, geht! Bevor die auch noch Feuer fängt. Und geht mit den Beinen zuerst!«
    Geneviève zitterte vor Angst und Ungeduld, während sich der Bischof mühsam durch die Öffnung kämpfte. Es musste passen, die Bauernjungen, die Dietmar unten erwischt hatte, waren schließlich auch nicht von elfenhafter Gestalt gewesen. Wenn der Mann sich nur etwas geschickter anstellen würde! Und warum mussten Priester eigentlich diese unpraktischen Kleider tragen? Inzwischen drangen Rauch und Flammen ein, Geneviève musste husten. Aber nun verschwand das schweißüberströmte und rauchgeschwärzte Gesicht des Bischofs endlich durch den Spalt in der Wand. Geneviève beeilte sich, ihm hinterherzuklettern. Sie hörte einen Schrei, als sie sich ins Freie schob. Der Bischof war die letzten Sprossen der Leiter herabgesprungen und hielt sich den Knöchel.
    Geneviève kam neben ihm auf und ließ sich keuchend zu Boden fallen. Gerettet, sie waren gerettet! Geneviève beschloss, die liebestollen Bauernpärchen nicht mit Stockschlägen, sondern mit Goldmünzen zu belohnen.
    Neben ihr regte sich der Bischof.
    »Seid Ihr wohlauf?«, fragte Geneviève.
    Siegried von Eppstein nickte. »Mein Knöchel … Euer Medikus muss ihn nachher ansehen. Aber sonst … Gott hat uns gerettet, Kind! Lasst uns ihm gemeinsam dafür danken.«
    Geneviève kniete folgsam nieder. Es war jetzt keine Zeit, auf ihrem Glauben zu beharren. Und überhaupt erschien es ihr plötzlich ganz gleichgültig, nach welchem Ritus der Priester da eben betete. Gott würde sich seine Wege sowieso nicht vorschreiben lassen.
    Geneviève kam jäh ein Gedanke. Sie hatte Simon de Montfort getötet und jetzt Siegfried von Eppstein das Leben gerettet – ohne Zutun höherer Mächte. Ob eines das andere ausglich im Angesicht Gottes? Oder war das eine so sündig wie das andere? Doch Geneviève fühlte die Schuldgefühle schwinden.
    »Kommt jetzt, Kind, Ihr müsst mich stützen.«
    Der Bischof beendete sein Gebet und strebte wieder ins Zentrum des Geschehens. Man musste dazu die
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