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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Silvia Stolzenburg
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von Ensingen dies nicht zu schätzen. »Ach ja, und bevor ich es vergesse«, fuhr Ulrich nun ebenfalls mit einem Lächeln fort, »hier fängt jeder ganz unten an. Was bedeutet, dass du die erste Zeit im Steinbruch beim Bossieren verbringen wirst. Nimm an oder lass es bleiben.«
    Der Protest blieb Wulf im Halse stecken, als er erkannte, dass der Werkmeister es ernst meinte. Er sollte Steinquader behauen, um Transportkosten zu sparen?! Am liebsten hätte er die Figur des heiligen Blasius hervorgezogen, um Ulrich zu demonstrieren, wie verschwendet sein Talent bei dieser Arbeit war. Doch dieser hatte seine Aufmerksamkeit bereits wieder dem Strebepfeiler zugewandt. Und außerdem war Blasius nicht mehr in einem Zustand, in dem er Bewunderung hervorgerufen hätte. »Ja, Herr«, brachte er schließlich kleinlaut hervor und schluckte die Erniedrigung.
    »Gut, dann wird man dir in der Bauhütte alle nötigen Anweisungen geben«, warf Ulrich ihm über die Schulter zu, während er mit dem Finger in fehlerhaftem Mauerwerk bohrte. »Und noch etwas.« Er richtete sich wieder auf und sah Wulf direkt in die Augen. »Zieh dir anständige Kleider an. Ich schätze es nicht, wenn man meinen Männern in den Hintern sehen kann.«
    Während Wulf flammende Röte in die Wangen schoss, gab Ulrich seinem Begleiter mit einer Kopfbewegung zu verstehen, ihm zu folgen, woraufhin die beiden den jungen Mann ohne Verabschiedung stehen ließen. Beschämt und ernüchtert blickte er an sich hinab und schalt sich einen Toren. Wenn er gewusst hätte, dass seine Kleidung das Gegenteil dessen erreichen würde, was er beabsichtigt hatte, hätte er sich viel Geld sparen können. Denn offensichtlich war Ulrich – ähnlich wie Wulfs Vater – modischen Neuerungen gegenüber negativ eingestellt. Wenn ein Rock nicht mindestens bis zum Knie reichte, so hatte Bertram Steinhauer seine Söhne oft belehrt, erregte er nicht nur das Missfallen der Kirchenmänner; er beschämte auch die Damen. Entgegen aller Enttäuschung musste Wulf grinsen. Das wollte er natürlich nicht! Mit einem Achselzucken schulterte er erneut sein Bündel und trottete auf die Bauhütte zu, in der Dutzende von Stimmen durcheinanderschnatterten. Hitzköpfige Italiener stritten mit phlegmatischen Engländern, die allesamt auf das verhutzelte kleine Männchen einredeten, das hinter einem aus Holz gefertigten Tresen versuchte, auf alle Anliegen einzugehen.
    Froh, dem Tumult zu entkommen, begab sich Wulf – nachdem das Männchen ihn entnervt abgefertigt hatte – zu der angewiesenen Stelle, wo ein Obergeselle die neu angeheuerten Steinmetze in die Regeln der Baustelle einführte. Da ein Großteil des Sandsteines aus den Steinbrüchen bei Donzdorf stammte, würden Wulf und die übrigen Neuzugänge morgen in aller Frühe dorthin aufbrechen. Denn, so informierte sie der Parlier, der etwa zwanzig Meilen lange Weg war beschwerlich und tückisch.
    »Zeigt, was ihr könnt«, forderte er die Handvoll Neuankömmlinge auf, nachdem er ihnen je eine Maßwerkschablone in die Hand gedrückt hatte. »Wenn ihr so gut seid, wie ihr denkt, kann ich den Meister vielleicht dazu bringen, euch früher als gewöhnlich aus dem Steinbruch zu entlassen.« Das breite Feixen auf dem gutmütigen Gesicht des Obergesellen ließ Wulf jedoch vermuten, dass er dieses Versprechen bis jetzt noch nie eingelöst hatte.
    Die Zeit verging wie im Fluge, und als nach Anbruch der achten Stunde die Sonne am Horizont versank, ließ der junge Mann erleichtert Schlageisen und Klöpfel sinken und betrachtete das symmetrische Blumenmuster, das bereits Gestalt angenommen hatte. »Du hast ein gutes Auge«, hatte der Parlier irgendwann im Laufe des Tages gesagt, und dieses Lob hatte Wulf noch gewissenhafter arbeiten lassen als zuvor. Egal wie wenig versprechend der Anfang, er würde den Meister von seinen Qualitäten überzeugen! Seine Schultern knackten, als er sich streckte. Mit einem Gähnen packte er die Werkzeuge zusammen und folgte den anderen, um sich in der Bauhütte seinen Tageslohn abzuholen, der im Sommer höher war als im Winter: Je früher die Sonne aufging, desto länger der Arbeitstag, was sich natürlich in der Entlohnung niederschlug.
    Einen Schilling und drei Pfennige reicher – da er keinen ganzen Zweischillingtag gearbeitet hatte – schloss er sich der kleinen Gruppe von Lehrlingen und Gesellen an, die der Bauhüttenverwalter ihm als Ulrichs Lehrknechte vorgestellt hatte.
    »Es ist nicht weit«, ließ ihn ein schlaksiger,
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