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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Silvia Stolzenburg
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weiter, als er einen etwa zwei Hand langen Schmierfleck am rechten Bein seiner eng geschnittenen Hose bemerkte, deren genestelter Latz ein wenig verrutscht war. Nachdem er sich kurz verschämt umgesehen hatte, brachte er diesen Teil des Kleidungsstückes in Ordnung und bückte sich nach den in der Frühlingssonne glänzenden Eisenwerkzeugen, die in einem beinahe ordentlichen Halbkreis im Graben verteilt waren. Weitere Verwünschungen murmelnd, las er nach und nach Zirkel, Winkel, Messlatte, Setz- und Schlageisen, Klöpfel und Zweispitze auf, bis sich das knappe Dutzend kostbarer Steinhauerwerkzeuge wieder in dem kleinen Bündel befand, zu dem er seinen Umhang schnürte. Er wollte sich gerade erneut auf den Weg machen, als er die Rechte erschrocken zu dem aus Hasenleder gearbeiteten Beutel an seinem Gürtel führte, diesen zitternd löste und den Inhalt mit angehaltenem Atem auf das junge Gras neben dem Graben schüttete. Als drei etwa birnengroße, steinerne Bruchstücke herauspurzelten, ließ er sich mit einem leisen Stöhnen auf die Knie fallen und starrte fassungslos auf die zerschmetterten Einzelteile einer ehemals aus einem Block gefertigten Heiligenfigur hinab. »Nein!«, flüsterte er erstickt und griff ungläubig nach dem unterhalb der Brust abgebrochenen Kopfteil der Skulptur, deren ausdrucksstarke Augen ihn vorwurfsvoll zu mustern schienen. Das durfte nicht sein! Die Trauer, die ihn bei der Erkenntnis durchströmte, dass dieses für ihn unersetzliche Kleinod verloren war, war beinahe stärker als die nagende Wut, die ihn seit seinem Aufbruch aus Straßburg nicht mehr loslassen wollte. Womit hatte er nur den Unwillen des Herrn auf sich gezogen, dass dieser ihn seit Anbruch der Woche immer und immer wieder mit grausamer Härte strafte?!, fragte er sich verbittert und fuhr mit der rauen Fingerkuppe die elegant geschwungenen Linien der Figur des heiligen Blasius, einem der Schutzpatrone der Steinmetze, nach. Wie viele Stunden hatte er nach getaner Arbeit auf der Baustelle des Straßburger Liebfrauenmünsters im dämmrigen Schein der Kerzen zugebracht, um dieses Werkstück zur Vollkommenheit zu bringen! Und wie oft war er kurz davor gewesen, aufzugeben und seinen Ehrgeiz, bereits im nächsten Jahr zum Bildhauer ausgebildet zu werden, zu begraben! Nur mühsam schluckte er den Kloß in seiner Kehle und presste die Bruchkanten aufeinander, nur um den Heiligen gleich darauf frustriert in seinen Schoß sinken zu lassen. Während der aus Osten immer heftiger auffrischende Wind ihm einzelne Strähnen in die Augen wehte, füllten sich diese mit lange unterdrückten Zornestränen, und er presste die Lider aufeinander, um die in seinen Gedanken nachhallende Stimme seines Ziehbruders zu vertreiben. »Was dachtest du denn, du Narr?«, hatte dieser ihn vor etwas mehr als sieben Tagen höhnisch herausgefordert, nachdem die beiden wie so häufig über eine Kleinigkeit in Streit entbrannt waren. »Wulf! Hast du etwa im Ernst angenommen, das sei ein bürgerlicher Name?«
    Sein schneidendes Lachen hatte die Frau, die Wulf bis dahin für seine Mutter gehalten hatte, in die Werkstatt gelockt, um wie immer zwischen den beiden Streithähnen zu vermitteln. Doch als sie die letzten Worte vernahm, war sie erbleicht und hatte sich haltsuchend an dem niedrigen Türrahmen abgestützt.
    »Sei still, Frieder«, fuhr sie den kaum ein Jahr jüngeren Knaben an, der kampfeslustig zu dem ihn um Haupteslänge überragenden Wulf aufblickte.
    »Warum, Mutter?«, fragte dieser nach einem kurzen Schielen über die Schulter. Doch da ihr Vater – der Steinmetzmeister Bertram Steinhauer, von dem Wulf sein Handwerk gelernt hatte – an diesem Tag außer Haus war, bot er ihr frech die Stirn. »Dachtest du, ihr könntet es für immer geheim halten?«, hatte er ehrlich erstaunt versetzt und Wulf mit einem Blick bedacht, den dieser nicht zu deuten vermocht hatte. »Dann hättet ihr euch nicht so oft über seine Herkunft unterhalten dürfen! Ich weiß, dass er ein Bastard ist!«
    Bevor die Faust des achtzehnjährigen Wulf ihn am Kinn treffen konnte, hatte er sich geduckt und war – wie immer wieselflink – an dem älteren Bruder vorbeigehuscht, um sich im Inneren des Hauses in Sicherheit zu bringen. Sodass Wulf mit seiner um Fassung ringenden Mutter allein blieb. Mutter – von wegen! Ohne es zu bemerken, schloss er die Hand um den Mittelteil des Heiligen, dessen zerbrochener Pilgerstab sich in seinen Ballen grub. »Verdammt!«, knurrte er und leckte den
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