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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Elemente nicht beeindruckt schienen. Er hatte kaum eine halbe Meile zurückgelegt, als einem Blitz eine von einem Grollen begleitete Windböe folgte, die ihm den plötzlich einsetzenden Platzregen entgegentrieb. Innerhalb weniger Momente verwandelte sich der unbefestigte Boden in einen schnell anschwellenden Sturzbach, in dem sich die von den Ästen gewehten Blüten mit dem gelben Pollenstaub der Bäume vermischten. Schimpfend stülpte er sich den breitkrempigen Hut auf den Schopf, zog die Schultern ein und legte im Laufschritt die verbleibende Strecke bis zum Dorfeingang zurück, wo er spritzend mit dem Fuß in einer Pfütze versank. Wulf war froh darüber, die modischen Schnabelschuhe ebenso wie den als Schecke bezeichneten, reich bestickten Rock in seinem Bündel verstaut zu haben. Er schüttelte die gelbbraune Brühe aus seinem einfachen Lederschuh und hastete auf das heftig im Wind hin und her baumelnde Schild der Herberge zu. Da die Farbe bereits großflächig abgeblättert war, konnte er lediglich den hinteren Teil eines Pferdes erkennen. Doch da ihm im Moment nichts gleichgültiger war als der Name des Gasthofes, stieß er die schief in den Angeln hängende Tür auf und betrat den nur spärlich beleuchteten, nach Hammelfett und Rauch stinkenden Schankraum. Mit dem Zuschlagen der Tür wurde das Heulen des Sturms wie von Zauberhand abgeschnitten, und allein das Klappern der festgezurrten Holzläden vor den winzigen Fensterluken zeugte von der Stärke des Unwetters. Bis auf die Knochen durchnässt, wrang der junge Mann notdürftig das Wasser aus den Kleidern, bevor er blinzelnd die Augen zusammenkniff, um in der vernebelten Düsternis Einzelheiten zu erkennen.
    Neben einem ersterbenden Feuer kauerten vier zerlumpte Gestalten, die bei Wulfs Eintreten kurz die Köpfe hoben, um sie sofort wieder über die hölzernen Becher in ihren Händen zu senken und ihre gemurmelte Unterhaltung fortzuführen. Grob gezimmerte Bänke säumten die ehemals weißen Wände, die keinerlei Schmuck zierte. Nicht einmal ein Kruzifix, dachte Wulf verwundert – da selbst die ärmsten Katen für gewöhnlich nicht ohne den Schutz des Herrn waren. Sechs unterschiedlich große Tische waren bedeckt mit Essensresten und Abfällen, und auf einer der Bänke tat sich eine fette Katze an einem abgenagten Knochen gütlich.
    »Seid willkommen!«
    Die ölige Stimme ließ Wulf zusammenfahren. Wie aus dem Nichts war ein geschlechtslos wirkendes Wesen vor ihm aufgetaucht. Erst bei näherem Hinsehen erkannte der junge Mann einen Vorhang, der vermutlich den Schankraum von der Küche trennte.
    »Womit kann ich Euch dienen?« Die unter mehreren Schichten kunterbunt zusammengewürfelter Kleider verborgene Gestalt entpuppte sich als Wirt der Gaststube, der Wulf mit einer übertriebenen Geste einlud, in der Nähe des Feuers Platz zu nehmen. »Marthe!«, brüllte er und lockte damit ein altes Weib aus dem angrenzenden Raum. »Hol frisches Reisig und schür das Feuer.« Damit verneigte er sich leicht vor Wulf, nachdem dieser um eine Mahlzeit und ein Lager für die Nacht gebeten hatte, und verschwand in der Küche. Wenig später tauchte er mit einem Teller und einem Becher wieder auf. »Hirsesuppe und Wein«, verkündete er stolz und füllte den Holzbecher mit einem dünnen Wein, der sich nach dem ersten Schluck als kaum genießbar herausstellte. Da ihm jedoch vor Hunger der Magen knurrte, zwang Wulf das wenig schmackhafte Mahl zwischen die Zähne und spülte es mit dem an Essig erinnernden Trunk hinunter.
    Im Laufe des späten Nachmittags, den der junge Mann in düsterem Brüten zubrachte, füllte sich die Herberge mit Reisenden, die vor dem nicht abflauen wollenden Sturm Zuflucht suchten. Als er sich nach einem weiteren Imbiss, der aus einem undefinierbaren Stück Pökelfleisch bestand, schließlich in den angrenzenden Schlafraum zurückzog, waren die meisten Betten bereits belegt. Einzig ein dicht unter dem klappernden Fensterladen stehender Bettkasten schien noch frei. Kaum hatte Wulf sich auf die klumpige Matratze fallen lassen, stach ihm der beißende Gestank von Schweiß und ungewaschenen Füßen in die Nase.
    Nur mühsam unterdrückte er ein Stöhnen, als sich kurz darauf ein ebenfalls alles andere als angenehm riechender Zeitgenosse zu ihm unter die Decke drängte und ihm diese nach kurzem Gerangel entriss. Was soll’s!, dachte er resigniert und lauschte auf das allmählich einsetzende Schnarchen der zum Teil zu viert in ein Bett gezwängten Reisenden.
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