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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Silvia Stolzenburg
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unterbrochen wurden, drängten sich sieben Bettkästen, in denen sich Strohsäcke und Kissen stapelten. »Du hast Glück«, sagte Hans und ließ sich auf eines der Betten fallen. »Zurzeit sind nur zwei Knechte im Haus, und Martin, der dritte Geselle, ist in Augsburg, um dem Schwager des Meisters auszuhelfen. Deshalb hat jeder von uns ein Bett für sich alleine.«
    Müde von der anstrengenden Reise und der Arbeit auf der Baustelle sank Wulf dankbar auf eine der beiden freien Schlafstätten und schob sein Bündel ans Fußende. Während der Redeschwall des Knaben über ihn hinwegspülte, schloss er die Augen und versuchte, das Gesicht des Mädchens in Gedanken nachzuzeichnen. Bereits nach wenigen Momenten scheiterte er jedoch an den unergründlichen, braunen Augen, in denen sich so viel Unterschiedliches widergespiegelt hatte, dass seine Erinnerung ihnen nicht gerecht werden konnte. Ob er einen ähnlichen Eindruck auf sie gemacht hatte wie sie auf ihn?, fragte er sich und hieß sich im selben Atemzug einen Einfaltspinsel. Was um alles in der Welt sollte die Tochter eines der berühmtesten Werkmeister Europas an einem einfachen Steinmetzgesellen wie ihm finden? Doch andererseits: Sollte es ihm gelingen, etwas über seine Herkunft in Erfahrung zu bringen, würden sich die Dinge vielleicht schneller ändern als er dachte. Er bohrte den linken Fuß in den Schaft seines Schuhs, um sich von diesem zu befreien. Zwar würde er morgen nach Donzdorf aufbrechen, um dort Steinquader zu behauen, doch konnte diese Fronarbeit schließlich nicht ewig dauern! Mit einem zuversichtlichen Lächeln wandte er seine Aufmerksamkeit zurück zu Hans, der in seinem Redefluss bei den Vorzügen der rundlichen Köchin angelangt war.

Kapitel 3

    Ulm, Mai 1368

    »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst dich nicht ohne meine Erlaubnis auf der Baustelle herumtreiben?«
    Die Maulschelle traf die vierzehnjährige Brigitta so unvermittelt, dass sie um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. So gebannt hatte sie auf das eng umschlungene Paar im Schatten der Laufschräge gestarrt, dass sie weder die schweren Schritte ihres Vaters noch die seines Begleiters gehört hatte.
    »Warum bist du nicht im Haus bei deiner Mutter?«, grollte der Werkmeister und wollte erneut die Hand heben, doch die Tränen, die seiner Tochter in die Augen schossen, ließen ihn von einer weiteren Züchtigung absehen. Mit einem Schluchzen senkte Brigitta den Kopf und zog die Schultern in die Höhe, um den Schmerz und die Trauer zu verbergen, die nichts mit der Ohrfeige zu tun hatten. »Mach, dass du nach Hause kommst«, befahl ihr Vater streng und machte Anstalten, sie stehen zu lassen. »Und lass dich ohne meine Erlaubnis nicht mehr hier sehen!«
    So leer und niedergeschlagen fühlte sich die junge Frau, dass sie nicht einmal Ortwins gierige Blicke störten, die wie immer ihren Körper von oben bis unten abtasteten. »Jawohl, Vater«, flüsterte sie und drückte sich an dem Baumeister vorbei, um nicht nur seinem Befehl Folge zu leisten, sondern auch vor der Demütigung zu fliehen, welche der Anblick des Liebespaares ihr bereitet hatte. Da die tiefe Stimme Ulrichs sie vertrieben hatte, war zwar weder von Gunner noch von der blonden Magd, die sich an ihn geschmiegt hatte, noch etwas zu sehen. Doch genügte das Nachbild der beiden Gestalten, um dem Mädchen diesen Teil der Baustelle für immer verhasst zu machen. Leise weinend huschte Brigitta vorbei an Helfern und Handwerkern, und stieß beinahe mit zwei Handlangern zusammen, die Steinquader auf einer Trage in Richtung Westturm beförderten.
    Mit zitternden Händen raffte sie den Rockteil ihrer Fucke und flüchtete sich in den Innenhof ihres Heimes, um sich dort in der Badestube einzuschließen und ihrem Kummer freien Lauf zu lassen. Während die Tränen in breiten Bächen ihre Wangen hinabrannen, warf sie sich auf eine der Bänke neben der Feuerstelle und grub die Fingernägel in die Handflächen. Bemüht, ihr Weinen zu ersticken, drückte sie das Gesicht in eines der mit Rosenöl parfümierten Laken, die den Badenden zum Abtrocknen dienten. Ein krampfartiges Schluchzen ließ ihren schlanken Körper erbeben, und während sich ihr Zwerchfell in immer kürzeren Abständen zusammenzog, saugte sich das weiße Leinen unaufhaltsam voll. So ungeheuerlich war der Zusammenbruch ihres Traumes, dass sie nicht einmal zusammenschrak, als sie mit dem Ellenbogen einen Wassereimer von der Bank stieß, der polternd zu Boden fiel. Wie konnte
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