Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Elfen

Das Erbe der Elfen

Titel: Das Erbe der Elfen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
in Sodden meinte sie ein »neues Leben« begonnen zu haben, glaubte, jenes andere in Cintra sei endgültig und unwiderruflich ausgelöscht. Die Hexer in Kaer Morhen hatten nie nach irgendetwas gefragt, und vor der Ankunft im Tempel hatte Geralt geradezu von ihr verlangt, dass sie niemals jemandem verriet, wer sie war. Nenneke, die natürlich alles wusste, sorgte dafür, dass Ciri für die anderen Priesterinnen und die Adeptinnen die ganz gewöhnliche uneheliche Tochter eines Ritters und einer Bäuerin sei, ein Kind, für das weder im Kastell des Vaters noch in der Hütte der Mutter Platz war. Die Hälfte der Adeptinnen im Tempel der Melitele waren genau solche Kinder.
    Doch Yennefer kannte das Geheimnis ebenfalls. Sie war jemand, dem man »trauen konnte«. Yennefer fragte. Nach damals. Nach Cintra.
    »Wie bist du aus der Stadt gelangt, Ciri? Auf welche Weise ist es dir gelungen, den Nilfgaardern zu entkommen?«
    Daran konnte sich Ciri nicht erinnern. Alles war abgerissen, in Finsternis und Rauch versunken. Sie erinnerte sich an die Belagerung, an den Abschied von Königin Calanthe, ihrer Großmutter, sie erinnerte sich an die Barone und Ritter, die sie gewaltsam von dem Bett weggezerrt hatten, wo die verwundete, sterbende Löwin von Cintra lag. Sie erinnerte sich an die wahnsinnige Flucht durch brennende Gassen, den blutigen Kampf und den Sturz des Pferdes. Sie erinnerte sich an den schwarzen Reiter mit dem Helm, den die Flügel eines Raubvogels zierten.
    Und an weiter nichts.
    »Ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich wirklich nicht, Frau Yennefer.«
    Yennefer bestand nicht auf einer Antwort. Sie stellte andere Fragen. Sie tat es feinfühlig und taktvoll, und Ciri fühlte sich immer freier. Schließlich begann sie von selbst zu sprechen. Ohne auf Fragen zu warten, erzählte sie von ihrer Kindheit in Cintra und auf den Skellige-Inseln. Wie sie vom Recht der Überraschung erfahren hatte und davon, wie das Urteil des Schicksals sie zur Vorherbestimmung Geralts von Riva gemacht hatte, des Hexers mit den weißen Haaren. Sie erzählte vom Krieg. Vom Umherirren in den Wäldern des Flusslandes, vom Aufenthalt bei den Druiden von Angren und von der Zeit, die sie im Dorfe verbracht hatte. Wie Geralt sie dort gefunden und nach Kaer Morhen mitgenommen hatte, in die Heimstatt der Hexer, und ein neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen hatte.
    Eines Abends erzählte sie, ohne gefragt zu sein, aus eigenem Antrieb, frei, fröhlich und vieles ausschmückend, von ihrer ersten Begegnung mit dem Hexer – im Walde Brokilon unter den Dryaden, die sie entführt hatten und mit Gewalt festhalten wollten, um eine Dryade aus ihr zu machen.
    »Ha!«, sagte Yennefer, nachdem sie sich die Erzählung angehört hatte. »Ich würde viel drum geben, hätte ich das sehen können. Ich meine Geralt. Ich versuche mir sein Gesicht vorzustellen, damals im Brokilon, als er merkte, welche Überraschung ihm die Vorsehung bereitet hatte. Er muss doch ein wundersames Gesicht gemacht haben, als er erfuhr, wer du bist?«
    Ciri begann zu kichern, in ihren smaragdgrünen Augen flammten teuflische Fünkchen auf. »Oh, ja!«, prustete sie. »Er hat ein Gesicht gezogen! Und was für eins! Willst du es sehen? Ich zeig’s dir. Schau mich an!«
    Yennefer brach in Gelächter aus.
     
    Dieses Lachen, dachte Ciri, während sie auf die gen Osten fliegenden Schwärme schwarzer Vögel schaute. Es war dieses Lachen, gemeinsam und offen, was uns einander wirklich nähergebracht hat, sie und mich. Wir haben begriffen, sowohl sie als auch ich, dass wir zusammen lachen können, wenn wir über ihn reden. Über Geralt. Und auf einmal waren wir einander nahe, obwohl ich durchaus wusste, dass Geralt uns zugleich verbindet und trennt und dass es immer so sein wird.
    Dieses gemeinsame Lachen hat uns einander nähergebracht. Und das, was zwei Tage später geschah. Im Wald, auf den Anhöhen. Damals hat sie mir gezeigt, wie man sie findet  ...
     
    »Ich verstehe nicht, wozu ich sie suchen soll, diese  ... Ich habe wieder vergessen, wie sie heißen  ...«
    »Diese Intersektionen«, sagte Yennefer vor, während sie Kletten abklaubte, die sich während der Durchquerung des Dickichts an ihrem Ärmel verfangen hatten. »Ich werde dir zeigen, wie man sie ausfindig macht, denn das sind Orte, aus denen man Kraft schöpfen kann.«
    »Aber ich kann doch schon Kraft schöpfen! Und du selbst hast mich gelehrt, dass die Kraft überall ist. Wozu also ziehen wir im Gebüsch herum? Im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher