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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land
Autoren: Astrid Lindgren
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Schönheit. Dort wuchsen Tabakp f lanzen, Astern, Löwenmäulchen und viele andere Blumen, und es war von einem Kranz Reseda umgeben.

    Hanna und Samuel August mit ihren vier Kindern: Gunn ar ; Astrid , Stina und – auf Papas Knien – Ingegerd) genannt Mamas kleine Nickon.
    Aber eine gute Hand mit seinen Leuten hatte Samuel August. Denn sicherlich ist es wahr, »solchen, die ihre Leute gut behandeln, glückt's drum nicht schlechter«. Ihm war auch das große Glück beschieden, Bauer zu sein, als m an es überhaupt noch sein konnte und es noch Freude machte, und er hing mit großer Liebe an seinem Beruf.
    Vor allem aber hing er mit großer Liebe an Hanna, habe ich das schon erwähnt? Er selbst erwähnte es oft. Fast täglich, solange er lebte. Nie wurde er es müde, ihr zu zeigen, wie glücklich er über sie war und wie staunenswert er es fand, daß es sie in seinem Leben und in seinem Haus gab. War er draußen oder sonstwie fort gewesen und entdeckte sie beim Heimkommen nicht augenblicklich, dann gab es für ihn nur die eine wichtige Frage: »Wo steckt mein Weib?«
    Christopher Polhem, ein kluger Mann, hat einmal gesagt, es täte Kindern gut, zuzusehen, wenn ihre Eltern sich herzen. Samuel August hätte seine volle Sympathie gehabt, das steht fest. Einen zärtlicheren Bauern hat es nie gegeben, zumindest war es bei småländ ischen Bauern unüblich, seine Gefühle so unverhohlen zu zeigen, wie Samuel August es tat. Wir Kinder waren es gewohnt, tagtäglich zuzuschauen, wie unser Vater, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick, unsere Mutter umarmte und sie »herzte«. Als eine meiner Schwestern im Alter von etwa zwei Jahren einmal eine Ansichtskarte zu sehen bekam, worauf ein Herr sein Gesicht schmachtend an den Hals einer jungen Dame preßt, war ihr die Situation ganz vertraut, und sie sagte nur: »Papa Hals küssen tut.«
    Gunnar, Astrid, Stina und Ingegerd, so hießen die Erikssonskinder auf Näs. Es war schön, dort Kind zu sein, und schön, Kind von Samuel August und Hanna zu sein. Warum war es schön? Darüber habe ich oft nachgedacht, und ich glaube, ich weiß es. Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist-Geborgenheit und Freiheit. Wir fühlten uns geborgen bei diesen Eltern, die einander so zugetan waren und stets Zeit für uns hatten, wenn wir sie brauchten, uns im übrigen aber frei und unbeschwert auf dem wunderbaren Spielplatz, den wir in dem Näs unserer Kindheit besaßen, herumtollen ließen. Gewiß wurden wir in Zucht und Gottesfurcht erzogen, so wie es dazumal Sitte war, aber in unseren Spielen waren wir herrlich frei und nie überwacht. Und wir spielten und spielten und spielten, so daß es das reine Wunder ist, daß wir uns nicht totgespielt haben. Wir kletterten wie die Affen auf Bäume und Dächer, wir sprangen von Bretterstapeln und Heuhaufen, daß unsere Eingeweide nur so wimmerten, wir krochen quer durch riesige Sägemehlhaufen, lebensgefährliche, unterirdische Gänge entlang, und wir schwammen i m Fluß, lange bevor wir überhaupt schwimmen konnten. Keinen Augenblick dachten wir an das Gebot unserer Mutter »aber nicht weiter raus als bis zum Nabel!« Überlebt aber haben wir alle vier.
    Unsere Kindheit war ungewöhnlich frei von Rügen und Schelte. Daß unsere Mutter nicht mit uns zankte, mag daran gelegen haben, daß man ihr meistens gleich gehorchte, wenn sie etwas anordnete. Sie war es, die uns erzog, und ich kann mich nicht entsinnen, daß Samuel August sich da je eingemischt hätte. Hannas Art der Kindererziehung war, so finde ich, recht großzügig. Daß man zu gehorchen hatte, war selbstverständlich, aber sie stellte nie unnötige und unerfüllbare Forderungen. So verlangte sie beispielsweise nicht, daß man unbedingt pünktlich zu den Mahlzeiten erschien – kam man zu spät, mußte man sich selber etwas aus der Speisekammer holen. Ohne Vorhaltungen. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß sie uns je Vorwürfe gemacht hätte, wenn wir mit zerrissenen oder beschmutzten Kleidern nach Hause kamen. Wahrscheinlich hielt sie solche Pannen, die im Eifer des Spiels passieren konnten, für das gute Recht eines Kindes. Sie zeterte nicht über Mißgeschicke, für die man nichts konnte. Wie zum Beispiel damals, als unsere jüngste Schwester auf den Küchentisch krabbelte und dabei die große Schüssel voll Blutgrütze umkip pte. Kein Wort verlor Hanna dar über, sie wusch ihr blutverschmiertes Töchterchen, zog ihm saubere Sachen an und gab uns
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