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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land
Autoren: Astrid Lindgren
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die sie einem dann mit einer Haarnadel herausholte. Der einzige Unterschied ist, daß Lisabets Mutter die große Schwester Madita mit Lisabet zum Doktor schickt, und nur darum landen sie bei Linus-Ida, die ihnen Äpfel brät und »Jesu Eisenbahn zum Himmel« vorsingt.
    Ich hatte als Kind sogar zwei Linus-Idas. Sie wohnten in nebeneinanderliegenden roten Holzhäuschen, und ich besuchte sie oft, wenn auch ohne Erbse in der Nase. Ida in Liljerum und Mari in Vendladal, so lauteten ihre poetischen Namen, und es war Ida, die die Äpfel briet und Waffeln backte, und Mari, die sang.
    »Pelle zieht aus« – ach, wer hätte das nicht getan? Im Alter von ungefähr fünf Jahren beschloß ich genau wie Pelle aufs Plumpsklo zu ziehen. Aus irgendeinem heute vergessenen Grund fühlte ich mich ungerecht behandelt und wollte der Familie einen Denkzettel verpassen. Ich war überzeugt davon, daß alle miteinander tränenüberströmt herbeigelaufen kommen und mich bitten würden, doch um Himmels willen wieder heimzukehren. Aber niemand kam, es war schrecklich. Mir blieb nichts anderes übrig, als von allein wieder zurückzukehren, und es war sehr bitter für mich, daß keiner, aber a uch keiner in der ganzen Welt mich vermißt hatte. Und darum reagiert Pelles Mutter so einsichtig, als Pelle versucht, Reißaus zu nehmen. Damit wollte ich nur endlich mein f ü nfjähriges Ich trösten, das bestimmt noch irgendwo in all den Jahresringen der Seele versteckt ist.
    Ja, liebe Olga, du siehst also, daß Einfälle gar nicht so etwas Besonderes sind. Auch in deinem Kopf gibt es bestimmt eine ganze Menge davon.
    Oder gab es! Damals, als du noch in Bullerbü lebtest und in der Stube wohntest, die einst unsere alte Tischlerwerkstatt gewesen war. Du verzeihst mir wohl, daß ich diese alte Werkstatt so viele Jahre später wieder hervorgekramt und Michel hineingesetzt habe, damit er dort beim Holzmännchenschnitzen all seine Streiche bereut?
    Ich habe also hier eine Auswahl meiner »Einfälle« zusammengestellt und, wie es sich gehört, mit meiner Erstgeborenen, Pippi Langstrumpf, begonnen. »Pippi findet einen Spunk.«
    Was ist ein Spunk? Zunächst erfindet Pippi das Wort, und erst dann versucht sie herauszubekommen, was es bedeutet. Spunk – ist das etwas, womit man Löwen erlegt, oder ist es eine Krankheit, die einem die Augen zufallen läßt, oder etwas, das einem Schluckauf beschert, wenn man Schuhkrem mit Milch ißt?
    Eine Schulfreundin von mir grübelte viel darüber nach, warum Schnur wohl »Schnur« und Wanne wohl »Wanne« heißt. Wer hatte bestimmt, daß es so und nicht anders zu sein hatte? Hätte sie Pippi gefragt, dann hätte sie zur Antwort bekommen: »Wahrscheinlich ein Haufen alter Professoren.« Aber nicht nur Professoren denken sich Wörter aus, auch Kinder tun dies oft und gern. Einmal vor langer Zeit in unserer Kindheit saß mein Bruder, der, soweit bekannt, der Welt erster Sachensucher gewesen ist, vor einem Zeichenblatt und fragte m ich: »Was soll ich zeichnen?« Ohne lange zu überlegen sagte ich: »Zeichne doch ein Salikon.« Und auch mein Bruder überlegte nicht lange. Er zeichnete ein Salikon, und ich sah auf den ersten Blick, daß es ein Salikon war, denn selbstverständlich erkennt man es sofort, wenn man es sieht. Deshalb war es eigentlich auch nicht recht von mir, daß ich später in einem Märchen, das »Al lerliebste Schwester« heißt, das Salikon einfach in einen Rosenstrauch verwandelt habe, unerhört so etwas! Die sechsjährige Astrid wäre da m it nie und nimmer einverstanden gewesen!
    Nein, wahrha ftig nicht nur alte Professoren! Ein mir lieber kleiner Olle, dessen Wortschatz kaum zehn Wörter umfaßt, hat sich ein eigenes Wort ausgedacht: Nan-g i . Außer ihm weiß niemand in der ganzen weiten Welt, was es bedeutet, aber es scheint etwas sehr Lustiges zu sein, denn immer, wenn er es ausgesprochen hat, quiekt er vor Lachen. Nan-gi? Was oder wer u m alles in der Welt ist Nan-gi, das m öchte man doch zu gern wissen. Nan-gi? 0 nein, halt! Bleib du nur noch i m . Fischkasten, mein Hechtlein! Ja, aber trotzdem ... Nan-gi! Nan-gi?
    So ungefähr fängt es manch m al an.
    Dies schrieb ich 1971. Zwei Jahre später erschien m ein Buch »Die Brüder Löwenherz«. Und dort taucht »Nan-gi« auf, aber ich f ü gte etwas hinzu.
    »Nangijala« wurde der Name des Märchenreiches, wohin die beiden Brüder zuerst kommen. Und »Nangilima« das Land, das ihre endgültige Heimstatt wird.
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    [1] Karl Staaff (1860-1915), liberaler
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