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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt
Autoren: Sara Gran
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»Findest du es wirklich wunderbar?«
    Hatte ich tatsächlich wunderbar gesagt?
Wunderbar
war wohl etwas übertrieben. Ich fand es okay. Ich fand es sogar ganz gut. Ich wusste nicht, wann ich zum letzten Mal irgendetwas
wunderbar
gefunden hatte. Der Begriff implizierte eine Glückseligkeit, die ich vermutlich nie erlebt hatte. Aber das war es, was sie hören wollte.
    »Ja«, sagte ich, »einfach wunderbar.«
     
    Lydia und Paul gründeten eine Band, Bluebird. Nach etwa einem Jahr löste Bluebird sich auf, und beide spielten wieder in eigenen Bands. Paul gründete eine Roma-Klezmer-Formation namens Philemon und Lydia eine bluesige, nostalgische, punkige Harry-Smith-Gedenkband namens The Anthologies. Ich sah beide Bands live. Sie waren gut. Besser als gut. Ich sah Lydia und Paul beim Anthologies-Konzert, sie wirkten ausgelassen, heiter, einander zugewandt, irgendwie fröhlich. Und als sie ein Jahr später heirateten, schickten sie mir eine Lupe aus Sterling-Silber von Tiffany’s. Es war ein Geschenk, wie man es einer Trauzeugin machen würde, dabei war ich keine Trauzeugin.
Danke,
stand auf der Karte. Ich fragte mich, ob sie sich bedankten, weil ich sie einander vorgestellt oder weil ich sang- und klanglos das Feld geräumt hatte.
    Sie luden mich zur Hochzeit ein, aber ich war für den Fall der Omen ohne Zukunft nach L.A. gerufen worden. Die Lupe war gut, und ich benutzte sie oft, bis ich zwei Jahre später ohne Reisepass, ohne Papiere und fast ohne Geld in Mexiko City festsaß. Ich verpfändete die Lupe, um einen Schlepper namens Francisco zu bezahlen, der mich über die Grenze schmuggelte.
    Nichts ist für die Ewigkeit. Alles fließt.
    Pauls und Lydias Geschichte war keine bereits gedruckte Abfolge von Wörtern. Vielleicht war sie ein Roman, den sie selbst schrieben. Vielleicht hatte er sogar ein Happy End.
    Oder vielleicht handelte es sich um einen gewöhnlichen Krimi, in dem einer den anderen umbringt und keiner zur Rechenschaft gezogen wird, so dass das Ende fehlt. »Die Rätsel haben kein Ende«, hatte Constance Darling, Silettes Schülerin, einmal zu mir gesagt. »Und vielleicht werden sie auch niemals wirklich gelöst. Wir tun so, als hätten wir verstanden, weil wir es nicht mehr aushalten. Wir klappen die Akte zu und schließen den Fall ab, was aber noch lange nicht bedeutet, dass wir die Wahrheit kennen, Claire. Es bedeutet lediglich, dass wir bei diesem einen Rätsel aufgegeben haben. Dass wir beschlossen haben, woanders weiterzusuchen.«

[home]
    3
    18 . Januar 2011
    I ch hatte die Nacht in Oakland verbracht, in den Mammutbaumwäldern oberhalb der Stadt, wo ich mit dem Roten Detektiv sprach. Er sagte, er könne eine bevorstehende Veränderung riechen. Eine Wendung, die ihn, mich, uns alle betraf. Er zog eine Tarotkarte aus dem Stapel. Egal, wie oft wir mischten, es kam immer wieder der Tod heraus.
    »Es ist lediglich eine Veränderung«, erklärte der Rote Detektiv, »aber ich muss schon sagen, sie fällt verdammt groß aus.«
    Gegen zwei oder drei Uhr morgens fuhr ich heim nach San Francisco, zog mich aus und krabbelte in T-Shirt und Slip und mit Zweigen und Blättern im Haar ins Bett.
    Um fünf klingelte das Telefon. Ich wollte eigentlich nicht rangehen, aber meine Hand griff einfach zum Hörer.
    »Claire?«
    Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang forsch und weiblich und fremd.
    »Ja?«, sagte ich.
    »Hey. Hier spricht Detective Huong vom San Francisco Police Department.«
    Ich kannte Madeline Huong. Für eine Polizistin war sie ganz in Ordnung. Sie gab sich wirklich Mühe. Was man heutzutage nur über die wenigsten Menschen sagen kann.
    »Was ist los?«, fragte ich. Mein Kopf war leer, ich war noch nicht richtig wach.
    »Ich habe schlechte Nachrichten für Sie«, sagte sie, »es tut mir leid. Jemand wurde ermordet.«
    »Wer?«, fragte ich. Aber dann zuckten schwarze Blitze vor meinen Augen, und ich wusste Bescheid.
    »Paul Casablancas«, sagten wir gleichzeitig.
    »Wie bitte?«, fragte sie. »Was haben Sie gesagt?«
    »Nichts«, sagte ich.
    »Nun ja, wie dem auch sei, es tut mir leid«, sagte Huong. »Ich habe Ihre Nummer im Handy der Ehefrau gefunden und dachte mir … Sie wissen schon … nicht jeder …«
    Sie wollte damit sagen, dass ich den Tod gewohnt war, dass ich wusste, was zu tun und wer zu benachrichtigen war. Dass ich nicht weinen oder in Ohnmacht fallen würde.
    Sie hatte recht.
    »Claire? Claire?«
    »Ja«, sagte ich, »ich bin noch da.«
    »Wenn Sie bitte zum Tatort kommen
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