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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
Autoren: Peter Heller
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abstoßen, die sie ohnehin nur behindert hatte. Und im Herauskriechen entfaltete und vergrößerte sie sich. Ein ziemlich kitschiges Bild, nicht wahr? Es war magisch. Zuzusehen, wie ein Mensch loslässt und aufblüht.
    Ich wusste nicht, was genau sie losließ.
    Ich liebte es, ihr zuzusehen, wie sie auf dem Barhocker saß, den ich auf Sofahöhe gekürzt hatte, wie sie sich über ihn beugte und leise auf Bangley einredete, nicht wie die Ärztin auf den Patienten oder der Priester auf den Gläubigen, sondern respektvoll, voller Humor, wie auf einen alten Freund. Ich liebte es zu sehen, wie sie die Schiene überprüfte und die Verbände erneuerte, denn ihre Handgriffe waren noch geschickter als damals im Garten – das war der Unterschied zwischen einer verhassten Gewohnheit und der stolzen Anwendung einer mühsam angeeigneten Fähigkeit. Ich liebte es, wie sie sich die dunklen Locken aus dem Gesicht strich und zurückband, wie sie ihre langen Arme streckte und in die Sommersonne hinaustrat, wie sie über die Rollbahn zu den Lämmern rüberlief, für die Pops ein Gehege im Schatten einer Schwarzweide gebaut hatte. Ich liebte es zu sehen, wie sie sich auszog und in den Teich sprang, wie sie sich aus dem Wasser erhob und mich am ersten Abend zu sich reinwinkte. Sie war das Allerschönste, was Big Hig je gesehen hatte.
    Wir schliefen unter freiem Himmel, so wie ich es immer gemacht hatte. Mit Jasper. Wir bauten uns ein Schutzdach aus geflochtenen Weidenzweigen und breiteten unsere Schlafsäcke auf der Doppelmatratze aus, die wir aus meinem Haus herausschleiften, dem mit der Veranda, und dann schlief ich so gut wie nie zuvor. Oft schliefen wir mit ineinander verschlungenen Armen und Beinen ein, was mir früher nie gelungen war, mit niemandem. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf, so wie früher, und dann stürzte ich den Kopf auf die Arme und beobachtete die Sterne, zählte die Sternbilder und dachte mir neue aus, nur dass ich es heute mit ihrem Ellbogen in meinem Gesicht tat, den ich sanft beiseite schob, mit ihrem Haar in meinem Mund, ihrem Oberschenkel auf meinem, mit dem Gefühl, noch einmal davongekommen und gesegnet worden zu sein.
    Trotzdem, in manchen Nächten trauerte ich. Nicht nur um die Verluste in der Vergangenheit, sondern auch um mein momentanes Glück, das, wie ich genau wusste, sehr zerbrechlich war. Wir lebten immer einen Schritt vom Abgrund entfernt, wir lebten mitten auf einer weiten Ebene. Wer wusste schon, welche Angreifer, welche Krankheiten uns überrollen würden. Wieder dieses Gefühl vom doppelten Leben. Es war wie beim Fliegen: Ruhe und Beschleunigung, Heiterkeit und Todesgefahr. Wir rasten im Biest dahin und spürten die Geschwindigkeit kaum. Dieses Gefühl, in einem Stillleben zu sein.
    Wir liebten uns, als sei es etwas völlig Neues. Vielleicht lag es daran, dass ich immer so sanft sein musste, so behutsam. Manchmal rollte sie sich auf mich, setzte sich rittlings auf mich und nahm mich langsam in sich auf, und dann lagen wir reglos da, ganz reglos, und hinter ihrem Kopf zogen die Sterne vorbei, und wir bewegten uns kaum merklich, es war wie eine Unterhaltung, und es erfüllte mich mit Glück, mit einem überwältigenden Glücksgefühl, das ich nicht ansatzweise beschreiben kann.
    Pops zog in das Haus neben Bangleys ein, in ein Zimmer im ersten Stock mit guter Aussicht auf das Rollfeld. Auch er war ein Taktiker durch und durch, manchmal schienen die beiden sich zu gleichen wie ein Ei dem anderen. Er stapelte Sandsäcke an seinen Fenstern auf, und dann eines Morgens stellte er sich förmlich vor und bat höflichst um die Erlaubnis, sich eines von Bangleys Gewehren ausleihen zu dürfen, die Sig Sauer. Bangley ging es da schon wieder besser, es war der zehnte oder elfte Tag, es ging ihm so gut, dass er sich aufsetzen konnte, Pops von oben bis unten mustern und trotz der genähten Lippe sprechen.
    Noch so ein alter Knacker, krächzte Bangley. Das war das Erste, was er sagte.
    Pops verzog den Mund zu einem Grinsen, und ich dachte, verdammt noch mal, sie lachen sogar gleich. Bangleys Hände waren bandagiert, und Pops beugte sich vor und berührte seinen Unterarm. Die Geste war anrührend und ehrerbietig.
    Hast dich tapfer gewehrt.
    Bangley warf ihm einen Blick zu aus Augen, die sich scheinbar kaleidoskopisch öffnen konnten. Er sagte kein Wort.
    Zehn oder zwölf, was? Drei davon bewaffnet.
    Vierzehn, röchelte Bangley. Vierzehn und vier.
    Pops nickte. Was kam durchs Dach?
    Felsbrocken.
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