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Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld
Autoren: Kirsten Heisig
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Sozialisationsbedingungen. Er hatte Eltern, bei denen er, soweit erkennbar, ohne Schwierigkeiten aufwuchs. Er verfügt über einen Schulabschuss und ist mit der Lehre bereits weit fortgeschritten. Hemmschwellen ließ er dennoch nicht erkennen - wie es zunehmend zu beobachten ist.
    Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich als Bereitschaftsrichterin am Wochenende über den Erlass eines Haftbefehls gegen mehrere junge Männer sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund zu entscheiden hatte. Den Beschuldigten wurde vorgeworfen, an einer Bushaltestelle einen Menschen grundlos zusammengeschlagen zu haben. Dem völlig Wehrlosen, der einfach nur zur Arbeit fahren wollte, wurde im Anschluss an andere Misshandlungen eine Eisenkette auf den Kopf geschlagen, bis der Schädel brach. Er überlebte dies zwar, wird jedoch nicht wieder in den Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte kommen. Für mich stand die Anordnung der Untersuchungshaft angesichts der Schwere dieser Tat, die von den Beschuldigten gar nicht bestritten wurde, nicht zur Diskussion, obwohl alle über einen festen Wohnsitz verfügten und regelmäßig die Schule besuchten. Die Tatverdächtigen wurden mir einzeln zur Vernehmung vorgeführt. Einer weinte - anscheinend nicht um sich selbst, sondern weil er sich des Ausmaßes der katastrophalen Folgen der Tat bewusst wurde. Andere waren reglos, vielleicht geschockt. Und der Letzte starrte mich aus kalten Augen an und meinte, es könne ja wohl nicht mein Ernst sein, ihn zu inhaftieren, schließlich habe er demnächst schriftliche Prüfungen, und im Übrigen helfe es dem Opfer ja nun auch nicht mehr, wenn er „in den Knast ginge". Haftbefehle habe ich gegen alle Verdächtigen erlassen. Sie wurden Monate später vom Landgericht zu hohen Jugendstrafen verurteilt.
     

»Klatschen gehen?«
    Im Fall von David, Leon und Sven beschleicht mich ebenfalls das Gefühl, nicht hinter die Kulissen blicken zu können. David hat es zu Hause gut angetroffen, verfügt über einen Schulabschluss und befindet sich in einer Ausbildung zum Druck- und Medientechniker. Er wohnt mit seiner Schwester zusammen und ist zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, die gegen ihn wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gefuhrt wird, fast zwanzig Jahre alt. Seine strafrechtliche Vorgeschichte beschränkt sich auf einige Graffiti-Schmierereien. Die Entwicklungsgänge des 18-jährigen Leon und des 19-jährigen Sven stellen sich nahezu deckungsgleich dar.
    Im Sommer 2009 kommt es in den frühen Morgenstunden zu einer Begegnung zweier jeweils leicht unter Drogen stehender Gruppen. Zur einen Gruppe gehören David, Sven und Leon. Es werden im Vorbeigehen wechselseitige Beleidigungen ausgetauscht. Eigentlich ist die Sache schon beendet, als David auf die Idee kommt, die andere Gruppe zu verfolgen und zu attackieren. Zu diesem Zweck geht er extra in seine Wohnung, um seinen Schlagring zu holen, dann sucht man gemeinsam die andere Gruppe. An einem U-Bahn-Eingang findet sich ein junger Mann, der zwar zuvor tatsächlich Teil der „gegnerischen" Gruppierung war - sicher sind sich David, Leon und Sven dessen allerdings nicht. Irgendwie kommt es darauf jetzt aber auch nicht mehr an: Einer muss „bestraft" werden. Leon und Sven maskieren sich vorsichtshalber, indem sie sich Tücher vor Mund und Nase binden. Sodann schlägt David ohne Vorankündigung dem Opfer mit der Faust in das Gesicht, nachdem er den Schlagring über die Finger gestreift hat, während Leon und Sven die Tat durch ihre körperliche Präsenz unterstützen. Dem Misshandelten gelingt es, sich in einen Asia-Imbiss zu flüchten. Dortige Mitarbeiter verhindern, dass die Täter ihr Opfer in den Imbiss verfolgen. Aus Ärger hierüber erhält eine weitere männliche Person vor dem Imbiss einen Schlag mit einer leeren Bierflasche, die Leon oder Chris vom Boden aufgehoben hatten, ohne dass damit eine erhebliche Verletzung hervorgerufen wird. Dann ziehen die Beteiligten ab. Das Gericht verurteilt David als Hauptakteur zu einem vierwöchigen, Leon und Sven jeweils zu einem zweiwöchigen Dauerarrest. Außerdem soll eine finanzielle Wiedergutmachung an die beiden Geschädigten erfolgen. Ihre Höhe hat eher symbolhaften Charakter.
    Die Verurteilten waren zum Zeitpunkt ihrer Festnahme nicht stark verhaltensauffallig, sodass sie nicht auf einen eventuell vorangegangenen Drogenkonsum untersucht wurden.
    Drogen stellen dennoch ein Hauptproblem dar, denn speziell die jungen Männer, mit
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