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Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld
Autoren: Kirsten Heisig
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denen ich mich außerhalb des Gerichts und im Übrigen auch außerhalb Berlins über die zunehmende Brutalisierung unterhalte, bestätigen dies. Sie erklären das Phänomen damit, dass die meisten ihrer Altersgenossen dauerhaft Drogen zu sich nehmen, und zwar nicht nur Cannabis: „Bekifft sind alle", heißt es. Was die Enthemmung anbelangt, so wird mir erklärt, liege das am Kokain. Im Gegensatz zu meiner bisherigen Annahme handelt es sich nach Aussage der jungen Männer schon längst nicht mehr ausschließlich um eine Droge für die Reichen und Schönen, sondern um eine chemisch variantenreiche Substanz, die unterschiedlich gepanscht für kleines Geld zu haben ist, auch wenn sie immer noch deutlich teurer ist als „Gras". Deshalb müssen etliche Konsumenten dealen, um den Eigenkonsum finanzieren zu können. Viele Jugendliche kombinieren andere Drogen beispielsweise mit Ecstasy, bevor sie abends ausgehen. Der Abend beginnt, indem man erst einmal kokst. Man snieft eine Line. Davon wird zwar die Nase taub, aber das sich anschließende Gefühl, unschlagbar, großartig, hellwach und unendlich aktiv zu sein, eignet sich hervorragend als Vorbereitung, wenn man „klatschen" gehen will. Es entstehen Allmachtsfantasien, das Bewusstsein signalisiert eigene Unantastbarkeit. Um nicht die nach weniger als einer Stunde einsetzenden „abturnenden" Folgen des Kokainkonsums ertragen zu müssen, sollte bald die nächste Line gezogen oder eine „Mitsubishi" (qualitativ gutes Ecstasy) „eingeworfen" werden. So bleibt man eine ganze Nacht „gut drauf". Zum Schluss wird zum Runterkommen wieder eine Bong oder ein Joint konsumiert, dann merkt man den Kater vom Koks nicht so deutlich.
    Zu alldem kommen noch Musikvideos hinzu. Ein junger Mann sagte mir einmal: „Wenn Sie die Jugend verstehen wollen, hören Sie ihre Musik." Gemeint waren in diesem Fall Rap-Videos. Bushido wird mir gar nicht erst empfohlen. Der sei „weichgespült", nachdem er es zu Geld gebracht habe, und die spannenden Titel stünden auf dem „Index", so die verbreitete Meinung.
    Ich schaue mir also etwas von „La Honda", „Automatikk" und „Deso Dogg" an, weil die Jungs sagen, das sei realistisch, ohne extrem zu sein. Die Botschaft ist eigentlich immer ähnlich. Muskelbepackte Männer mit protzigen Ketten um den Hals behaupten in bedrohlichen Posen, das harte Leben im Getto verinnerlicht zu haben. Sie kennen sich aus mit den Gesetzen der Straße und des Drogenmarktes.
    „Automatikk" beschreiben in dem Machwerk „Klick-Klack", wie ein „Spast" namens Martin abgezogen werden soll, nachdem man dessen Anschrift herausgefunden, eine „Wümme" und Sturmhauben besorgt und bei einer Line besprochen hat, wie der Überfall durchgeführt werden soll. Man schildert, wie das Opfer den Tätern seine Wohnungstür öffnet und zunächst mit der Faust und dann mit der „Knarre" geschlagen wird, damit es verrät, wo Drogen, Geld und Ketten versteckt sind. „Haste gesehn, der hat geheult wie 'ne Fotze", heißt es dann weiter.
    „La Honda" schildern in dem Lied „Wenn es Nacht wird" eine noch effektivere Methode der Durchsetzung eigener Interessen. Es geht in diesem Fall wohl um Rache. Allerdings bleibt die Ursache im Dunkeln. Jedenfalls bewaffnen sich dem Text zufolge fünf Männer bis an die Zähne und nehmen noch einen Pitbull mit. Es folgt eine rasante Autofahrt mit einem Jeep. An der Wohnung desjenigen angekommen, der die Kiezgangster verärgert hat, werden eine Fensterscheibe eingeschlagen, Familienmitglieder brutal attackiert, die Einrichtung unter Verwendung eines Baseballschlägers zerlegt, bevor man dem eigentlichen Opfer die Arme bricht und es bespuckt. Das alles geschieht unter Beteiligung des Kampfhundes: „Ich hol' den Pitbull, endlich ist sein Auftritt, gib ihm ne Ohrfeige, dass er richtig ausflippt, wie ein Bodybuilder kann er einfach gut reißen."
    Auch der Rapper „Deso Dogg" gibt sich in seinem Beitrag „Haltet die Fresse" nicht zimperlich. Ohne die Beweggründe im Detail zu schildern, ist die Rede von zerbissenen Kehlen und auf der ganzen Straße verspritztem Blut. Außerdem: „Ich werde eure Köpfe spalten", „Bringt die Leichensäcke mit" und „Deso Dogg kommt vorbei und durchbohrt euch mit seinem Schwert".
    Zusätzlich stehen Killerspiele, die ursprünglich vom amerikanischen Militär entwickelt wurden, um den Soldaten durch die ständige visuelle Konfrontation mit dem Töten die natürlichen Hemmschwellen abzutrainieren, den Jugendlichen ohne
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