Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
Vom Netzwerk:
etwas dran sein …«
    »Aber nichts, wofür wir den Haftbefehl bekommen, den Kollege Brennecke verlangt«, beharrte Hänsel.
    Alle nickten.
    »Hinfahren, nachfragen!«, schlug Steigerwald vor. »Das ist am einfachsten …«
    Sie blickten Lohkamp an. Er hatte zu entscheiden.
    »Ich muss mir das alles noch mal überlegen«, sagte er nach einer Weile. »Und dabei stört ihr …«
    »Wirklich, ein eleganter Rausschmiss!«, kicherte die Langer, als sie zur Tür drängten.
    »Und haltet mir die Anrufer vom Leib!«
     
    Lohkamp starrte auf die Papiere, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten. In diesem Wust konnte die Lösung sein – aber wo? Wie sah sie aus?
    Er setzte neuen Kaffee auf und blätterte die Protokolle durch, die Hänsel aus dem Niederländischen übersetzt hatte – saubere Arbeit, soweit er das bei einem Textvergleich beurteilen konnte. Aber spätestens bei Vorlage der Rechnungen für die Wörterbücher würden ihnen ein paar Bürokratenseelen aufs Dach steigen, weil sie keinen vereidigten Dolmetscher engagiert hatten. Die Vorschriften waren diesen Typen wichtiger – auch wenn es das Vierfache an Zeit und das Zwanzigfache an Geld kostete.
    Die Blätter mit den Aussagen Gerrit Bakkers überschlug er: Der war’s nicht, und der wusste nichts. Die Flurnachbarn: Sie waren viel zu blau gewesen, um in jener Nacht noch etwas zu bemerken. Das Personal, die Familie des Besitzers, die anderen Gäste: Alle hatten in ihren Betten gelegen und nichts bemerkt. Der Discjockey: Er konnte zwar in allen Einzelheiten erzählen, wie das Ankoppelungsmanöver zwischen Ruth und Gerrit abgelaufen war – aber das brachte sie auch nicht weiter. Die Ladenbesitzer, die Bibliothekarin, die Leute vom Fremdenverkehrsbüro VVV, alle also, bei denen sich Ruth Lektüre besorgt hatte – nichts. Was blieb, war das Bild einer schnuckeligen Insel, auf der man wirklich einmal Urlaub …
    Alles Quatsch.
    Genauso unsinnig wie die Behauptung dieser Ruth Michalski, ihr Vater hätte da gedient. Ernst Pohlmann, der bei Kriegsende elf Jahre alt war …
    Aber – warum erzählte sie solch einen Blödsinn?
    Lohkamp wühlte in dem Stapel mit den Ausgaben des Vlieland Magazine, mit dem die Insel überall in den Niederlanden Urlauber anwarb. Ein blaues Sonderheft: Vlieland en de Oorlogsjaren –   Vlieland im Krieg.
    Lohkamp schlug das Heft auf. Er hatte es schon mindestens dreimal durchgeblättert und kannte es fast auswendig. Vier bunte Reklameseiten am Anfang – auf einer von ihnen das Albatros , in dem Ruth Michalski ermordet worden war. Dann die Anzeige eines Hotels, in der sich eine Zeichnung des Leuchtturms befand – samt diesem seltsamen Gestell daneben. Mehrere Geschichten mit Kriegserlebnissen gebürtiger Vlieländer. Ein Bild des Wehrmachtsbefehlshabers der Niederlande, der die Besatzungstruppen auf der Insel inspizierte. Die beiden Fotoseiten in der Mitte.
    Wie immer richtete sich Lohkamps Blick zuerst nach rechts oben: Eine Batterie kurznasiger Kanonen auf Gummirädern. Darunter die Abfahrt der deutschen Soldaten am 4. Juni 1945. Dicht gedrängt standen sie an der Reling eines Fahrgastschiffes – mit Fahrrädern und Strandkarren, als zögen sie auf Urlaub und nicht in Gefangenschaft. Links unten: Die Engländer übernehmen die Stellungen der Wehrmacht. Am Rand der Szene der ehemalige Batteriechef, vollgefressen wie auf einer Karikatur – das Vlieland-Kommando galt als Lebensversicherung.
    Und oben. Eine offene Hotelveranda. Vier deutsche Soldaten. Drei, hinter einem hüfthohen Mäuerchen, wie Urlauber: Lässig zurückgelehnt, zufrieden mit sich und dem Schicksal, das sie auf diese friedliche Insel verschlagen hatte. Und ein vierter, vor dem Mäuerchen auf einem Fass sitzend. Die rechte Hand etwas verlegen am linken Unterarm, die andere vor dem Hosenschlitz. Ein dümmliches Grinsen: Hier bin ich, mir gehört die Welt …
     
    Brennecke fiel fast von seinem Stuhl, als er Lohkamp nebenan losschreien hörte: Hatte der Chef einen Rappel?
    Sie stürzten alle in sein Dienstzimmer. Er saß, die Beine ausgestreckt, hinter dem Schreibtisch und lächelte zufrieden. Vor sich hatte er eine Menge Papier ausgebreitet. Weiße Blätter, die irgendetwas abdeckten. Mit zwei quadratischen Lücken, briefmarkengroß. In den Lücken: Gesichter.
    Vier Köpfe beugten sich über das Arrangement.
    »Das ist doch Puth!«, sagte Brennecke. »Dieses fette Grinsen …«
    Alle nickten.
    »Und der andere?«, fragte Lohkamp.
    Brennecke hielt den Atem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher