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Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall

Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall

Titel: Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
Autoren: Joao Paulo Cuenca
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zu werden, verstehen sich darauf, Postfächer zu knacken oder jemanden so lange zu verfolgen, wie Herr Okuda es für notwendig hält.
    All diese Gerätschaften speisen die Monitore und Lautsprecher eines kleinen Kellerraumes im Haus meines Vaters, den er als Periskopraum bezeichnet. Er ist das Herz seines anonymen Beobachtungspostens. Von der Tür aus wirkt diese Ansammlung übereinandergestapelter Fernseher wie das Auge einer riesigen Fliege.
    Das ist es, was ich mein Leben lang von meinem Vater, Herrn Atsuo Okuda, gelernt habe: das Sehen. Zu sehen und nicht gesehen zu werden.
    Da für Herrn Okuda die Tage stets länger und länger werden und er die meiste Zeit in den Armen der Puppe Yoshiko verträumt, habe ich die Aufgabe, das Periskop zu bedienen. Es ist mein Erbe, würde er sagen. „Das wird von mir bleiben, mehr noch als meine Bücher“, würde er sagen.
    Dieses Periskop des Herrn Languste Okuda, meine Erbschaft, funktioniert nicht ohne die Hilfe von Herrn Suguro Shibata, Professor der Vereinigung des Harmonischen Fugu von Tsukiji. Herr Suguro steht bei meinem Vater in der Schuld und wird außerdem fürstlich dafür entlohnt, dass er ihm wilden Fugu liefert und die Drecksarbeit bei der Spionage erledigt. Ein Wort übrigens, das mein Vater verachtet – er nennt es lieber „Beobachtung“.
    Ich habe Suguro Shibata nur ein einziges Mal gesehen, als Kind, vor fast dreißig Jahren. Ich erinnere mich nur noch an seinen Geruch. Herr Shibata riecht nach fauligen Algen.
    Dass ich Herrn Shibata nur ein einziges Mal gesehen habe, bedeutet nicht, dass ich in den letzten Jahrzehnten nicht bei zahllosen Gelegenheiten von ihm beobachtet wurde. In den Schränken des Periskopraums befinden sich Tausende gestapelte Betamax- und VHS-Cassetten, später dann silbrige DVDs mit Aufnahmen aus meinem Leben, von meiner Jugend bis zu dem Moment, in dem diese Geschichte zu Ende sein wird. Ich habe mich von klein auf an diese Überwachung gewöhnt, habe gelernt, selbst zu überwachen und überwacht zu werden – von meinem Vater.
    Den Periskopraum im Keller entdeckte ich wenige Jahre, nachdem meine Gefühle begonnen hatten, sich auf Frauen zu konzentrieren. Dort befinden sich, geordnet nach Datum und Uhrzeit, die heimlichen Aufzeichnungen meiner ersten sexuellen Begegnungen in den Stundenhotels in Shibuya sowie von Gesprächen, Streits und Versöhnungen bei Abendessen, von diversen Spaziergängen und ganzen Nachmittagen aus meiner Jugend.
    Mit der Zeit stieg ich mit meinem Vater ein in das U-Boot, und wir steuerten es gemeinsam auf der Jagd nach unserem Studienobjekt durch die Stadt der unsichtbaren Menschen, die Stadt, in die von überall her Leute aus unserer großen japanischen Nation kommen, um hier vergessen zu werden, diese asymmetrische Stadt, die alle anderen in sich trägt und doch keine von ihnen.
    In diesen Momenten sagt Herr Languste Okuda in seinen Träumen Worte, die in meine eindringen:
    „Eines Tages wirst du verstehen, dass das einzig mögliche glückliche Ende einer Liebesgeschichte ein Unfall ohne Überlebende ist. Ja, Shunsuke, du Versager, mein kleiner blöder Fugu: ein Unfall ohne Überlebende.“

3
    Der Zug hält.
    Die Landschaft, die wir durch das Fenster sehen, hört auf, ein Gewirr waagrechter Striche zu sein, und gefriert zu beleuchteten Umrissen hinter dem Regen. Neben der Brücke, über die die Yamanote-Linie führt, steht eine Mauer aus Gebäuden und Einkaufspassagen. Über allem wirbt eine große Reklame aus Neonröhren für Suppe. Die einzigen Fenster, deren Gardinen nicht zugezogen, deren Scheiben nicht verdunkelt sind, befinden sich im fünften Stock des geschwungenen Gebäudes rechts. Dort probt in der Mitte des Raums eine Gruppe kleiner Tänzerinnen eine Choreografie, während andere ihre Beine an einer Metallstange dehnen. Die Bewegung der Mädchen ist so rein, dass ich Deine Schulter berühren will, um den Anblick der Tänzerinnen mit dir zu teilen. Doch der Weg meiner Hand zu deinem Körper wird unterbrochen von der Explosion.
    Der Knall beginnt mit einem schrillen Ton vorne im Wagen, der uns durchdringt wie ein geschliffenes Hackmesser. Je weiter der Aufprall sich ausbreitet über die Sitze und die Menschen, desto tiefer wird das Ächzen des sich verbiegenden Metalls. Die Veränderung ist abrupt: Wo vorher Kontinuität war und Ordnung, ist nun Chaos. Der Erste, der von der Druckwelle erfasst wird, ist ein Jugendlicher, der etwas in sein Telefon tippt. Neben ihm, nahe der Tür zum anderen
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