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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich
Autoren: Betty McDonald
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Mücken, die uns aus der Luft bedrohten, und vor Zecken, Schlangen, Blutegeln und Käfern, die im Frühjahr aus dem Boden krochen und uns auflauerten. Sie überzeugte uns davon, daß die Bäume am Rande der Lichtung, auf der unsere Hütten standen, wie die Gitterstäbe eines Käfigs waren, hinter denen Hunderte von Wölfen, Graubären und Berglöwen nur darauf warteten, uns zu schnappen und zu verzehren.
    Von den Sommerferien, die wir mit den Eltern in Zelten verlebten, kamen wir gesund und braungebrannt zurück, doch von den mit Gammy verbrachten Monaten müde wie die Fliegen und blaß und mager von den vielen Stunden, die wir während der Gewitter unterm Bett gelegen und gebetet oder in der Hütte zusammengepfercht gesessen hatten, aus Angst vor den drohenden Fängen der beutehungrigen Tiere. Für uns war es Ehrensache, unseren mutigen, vor nichts zurückschreckenden Eltern kein Sterbenswörtchen von Gammy und ihrer Einstellung zu den grauenhaften Gefahren der Natur zu erzählen, und ich denke mir, daß Vater und Mutter sich oft gewundert haben, wie sie, die so tapfer und abgehärtet waren, zu dieser Schar überempfindlicher Karnickel gekommen sind.
    Unternahmen die Eltern längere Exkursionen, und das kam häufig vor, blieben wir mit Gammy daheim. Wir schliefen dann bei ihr im Zimmer auf Feldbetten und Pritschen, die sie ohne viel Federlesens und ohne viel Sorgfalt aufstellte, was zur Folge hatte, daß sie prompt zusammenkrachten und uns blaue Flecken und Schrammen bescherten. Gammy hatte immer ein paar alte Schuhe von Vater in Reichweite neben ihrem Bett stehen, und sobald sie einen verdächtigen Laut hörte, langte sie nach den Schuhen und stampfte damit auf den Boden, damit der vermeintliche Dieb oder gar Mörder es mit der Angst zu tun bekam und annahm, es sei ein starker Mann im Haus und nicht nur »eine hilflose alte Frau mit noch hilfloseren kleinen Kindern«, die oben alle zitternd darauf warteten, um die Ecke gebracht zu werden.
    Unsere Dienstmädchen kamen doch manchmal spät nach Hause, und ich habe mich seither mehr als einmal gefragt, ob die von Gammy zu nachtschlafender Zeit produzierten schweren Männerschritte nicht den Verdacht in ihnen aufkeimen ließen, die alte Dame habe ein geheimes Liebesieben. Vom Gesichtspunkt der Mädchen aus wäre das nicht so ausgeschlossen gewesen, denn Gammy war eine hübsche Frau, schlank mit schönen blauen Augen, feinen Gesichtszügen und seidigem, gelocktem Haar. Für uns, die sie besser kannten, gab es eine Menge Gründe, die dagegen sprachen. Erstens haßte Gammy die Männer alle mit einer Ausnahme, und die Ausnahme war unser Vater »Natürlich wieder so ein widerliches Mannsbild«, schimpfte sie, wenn sie in der Zeitung von einem Mord oder einer Verführung las. Oder sie wetterte: »Die Welt ist nur zum Vergnügen der Männer eingerichtet, laßt euch das gesagt sein«, und beobachtete uns argwöhnisch, ob wir auch die Augen fest zukniffen, während wir an der »Schenke zum Silberdollar« vorbeigingen. Waren Vaters Freunde oder Kollegen bei uns zu Gast, was ungefähr an sechs Abenden in der Woche der Fall war, ermahnte Gammy das Dienstmädchen: »Brauchst keine so guten Sachen zu kochen. Männer essen alles, die Schweine!«
    Zweitens hätte sich ein Liebhaber Gammys mit viel Geduld und einem Jagdmesser wappnen müssen, denn sie war stets von zahlreichen Kleidungsstücken umhüllt. Nackheit galt in ihren Augen als eine große Sünde, und wir bekamen oft zu hören: »Daß ihr mir nicht nackt herumlauft, ihr Bande!« Was sie selbst betraf, so zog sie entweder eines ihrer Kleidungsstücke aus oder ein weiteres an, je nach dem Wetter. Zuoberst trug sie immer eine saubere, gestärkte weiße »Schüürze«, die tagsüber vorsichtshalber von einer bunten »Schüürze« geschont wurde. Unter den beiden Schürzen hatte sie noch ein schwarzes Seidenkleid, einen wollenen Rock, eine weiße Batistbluse mit hohem Kragen, verschiedene Flanellunterröcke, einen Korsettschoner, das berühmte Korsett, dessen oberen Teil sie nach unten stülpte, wodurch sich die für den Busen ausgearbeiteten Partien hübsch straff um die Hüften spannten, und zu guter Letzt die »Bauscher« an.
    Drittens hätte sich Gammys Liebhaber mit den besonderen Eigenheiten ihrer Lagerstatt abfinden müssen, die sie benützte wie andere Leute eine Kommode. Nachthemden, Bettjäckchen und eine vorsorgliche Reserve an »Bauschern« stopfte sie unters Kopfkissen; ihre Bibel lag rechts oben unterm Leintuch
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